Familie Kohls - "Judentaufe"

Pastor Wilhelm VoigtStA Celle/Decker-Voigt
Pastor Wilhelm Voigt <span>StA Celle/Decker-Voigt</span>
Stolpersteine für die ermordeten Mitglieder der Familie Kohls vor ihrem Wohnhaus Bergstraße 10. <span></span>

Das Verhältnis zwischen Kirche und nationalsozialistischem Staat war in Stadt und Landkreis Celle ambivalent. Ein Beispiel für einen Konflikt zwischen Kirche und Partei war die sogenannte „Celler Judentaufe“.

Im Frühjahr 1935 wandte sich die mit ihrer Familie in der Bergstraße 10 lebende Jüdin Else Kohls (geb. 1894) mit dem Anliegen an die evangelisch-lutherische Kirche, christlich getauft werden zu wollen. Der Pastor der Neuenhäuser Gemeinde, Wilhelm Voigt (geb. 1889), gab ihr und ihren Töchtern Edith (geb. 1920) und Lieselotte (geb. 1922) den hierzu erforderlichen Konvertitenunterricht. Voigt, der sich zur „Bekennenden Kirche“ zählte, wies sie aber darauf hin, dass ihre bisherigen Glaubensgenossen sie dann wahrscheinlich ablehnen würden, sie gemäß der „Rasse-Gesetze“ aber Jüdinnen bleiben würden. Am 7. Juli 1935 wurden Else Kohls und ihre Töchter von Pastor Voigt getauft.

Im September erschien im „Niedersachsen Stürmer“, dem Gauorgan der NSDAP, unter der Überschrift „Judentaufe in Celle“ ein Artikel, der Voigt wegen seiner Beteiligung an einem „jüdischen Betrugsmanöver“ angriff, das „das nationale Empfinden der deutsch denkenden Mitglieder seiner Gemeinde aufs tiefste verletzte“. Ein Gastwirt, bei dem die ältere Tochter angestellt war, hatte den Pastor denunziert. Angehörige der Hitler-Jugend warfen daraufhin die Fensterscheiben des Pfarrhauses ein. Die Gestapo begann mit der Überwachung des Gottesdienstes.

Edith Kohls war zu diesem Zeitpunkt bereits nach Hamburg verzogen, die Mutter und ihre jüngere Tochter aber zogen 1937 zunächst von der Bergstraße nach Westercelle in den Waldweg 3 um, von wo aus sie nach der Pogromnacht Edith nach Hamburg folgten. Die drei Frauen wurden in Auschwitz ermordet, auch der Vater Adolf Kohls und die Großmutter Rosa Kahn starben in deutschen Konzentrationslagern.

Am Schicksal der Familie Kohls im Nationalsozialismus lässt sich auf lokalgeschichtlicher Ebene gut nachvollziehen, dass der Antisemitismus der Nazis sich als rein rassistische Konstruktion vom religiös fundierten Antijudaismus unterschied. Das „Reichsbürgergesetz“ stufte eben gänzlich unabhängig vom Glauben als „Jude“ ein, wer mindestens drei jüdische Großeltern hatte. Als „Mischlinge ersten Grades“ galten Personen mit einem jüdischen Elternteil oder zwei jüdischen Großeltern, als „Mischlinge zweiten Grades“ Personen mit einem jüdischen Großelternteil. Eine Konsequenz daraus war auch, dass die christlichen Kirchen viele Mitglieder hatten, die den Nationalsozialisten als Juden galten und antisemitisch diskriminiert und verfolgt wurden: in der hannoverschen Landeskirche Ende der 1930er Jahre knapp 2500.

Wie eine Studie der Historikerin Uta Schäfer-Richter belegt, unterblieb eine tätige Solidarität seitens der Kirche. Ihr Handeln war bestimmt von dem Wunsch nach einem möglichst konfliktfreien Auskommen mit dem Staat, was letztlich bei der Kirchenführung in einer Anerkennung der antisemitischen Weltanschauung mündete. Und so bemerkenswert etwa das Handeln von Pastor Voigt im Jahr 1935 auch war, so gehörte er 1942 als Mitglied des sogenannten Mitarbeiterkreises der Bekenntnisgemeinschaft zu den drei Verfassern einer Erklärung, in der es heißt:

"Sie [die Kirchen] werden im Interesse der Volksgemeinschaft und im Interesse der christlichen Gemeinden den Tatbestand der vom Staat verfügten und auch ihm allein zustehenden Abgrenzung der Volksgemeinschaft Rechnung tragen. Es ist als eine Gegebenheit anzuerkennen, dass Juden auch an dem kirchlichen Gemeinschaftsleben der deutschen evangelischen Gemeinden nicht teilhaben können."

Literatur: Bertram 1992, 166-167; Krizsan 2004, 21-22; Schäfer-Richter 2009, 107-112, 300-308.

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