Ev.-luth.Kirche

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Ansicht der Stadtkirche Celle 2017
Ansicht der Stadtkirche Celle 2017
cc-by-sa-2.0/Aleksandr Zykov

Der Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Herrschaft erstreckte sich auch auf die Kirchen. Der Versuch, über die Bewegung der „Deutschen Christen“ (DC) Einfluss in den Gemeinden zu gewinnen, scheiterte in Celle jedoch weitgehend. Die kirchenfeindliche Haltung der NSDAP führte zu Konflikten mit der Hannoverschen Landeskirche ebenso wie im Raum der Celler evangelischen Kirchengemeinden. Obwohl die Kirche dabei deutlich an gesellschaftlicher Prägungskraft verlor, bewies sie als organisatorischer Raum eine gewisse Resistenz gegenüber nationalsozialistischen Eingriffen. Dies allerdings führte nicht dazu, dass christlich geprägte Milieus in Celle gegen Maßnahmen des nationalsozialistischen Staates opponierten.

Rund 90 % der Bevölkerung gehörten in Celle im Jahr 1933 den evangelischen Kirchen an, 6,5 % der katholischen Kirche, gut 3 % waren „bekenntnislos“ und nur jeweils 0,25 % wurden zur jüdischen Gemeinde bzw. anderen christlichen Religionsgemeinschaften gerechnet. Im Stadtgebiet gab es fünf evangelisch-lutherische Gemeinden: die Stadtkirche, die Blumläger Kirche, die Neuenhäuser Kirche, die Neustädter Kirche und die Kirchengemeinde in Wietzenbruch. Die größte war die Stadtkirchengemeinde mit drei Pfarrstellen; alle anderen hatten jeweils einen Pastor. Dazu kam die evangelisch-reformierte Kirche (Hannoversche Straße) mit einer Pfarrstelle.

Reichsweit versuchten die Nationalsozialisten über neu angesetzte Gemeindevertretungswahlen vom 23. Juli 1933 Einfluss auf den kirchlichen Bereich zu gewinnen. In die neu konstituierten Kirchenvorstände sollten so möglichst viele Angehörige der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ gewählt werden. Diese kirchenpolitische Gruppe bekannte sich zum Nationalsozialismus und verfolgte vier zentrale Ziele: Zusammenschluss der Landeskirchen zu einer einheitliche Reichkirche, Verkündung eines „arteigenen Christentums“, Verzicht auf Judenmission sowie Schutz des Volkes vor „Untüchtigen und Minderwertigen“.

Zu den Gemeindevertretungswahlen waren Einheitslisten aufgestellt worden, die der Unterbevollmächtigte des Kommissars der Preußischen Landesregierung für den Bereich der hannoverschen Landeskirche, der damalige Escheder Pastor und spätere Lüneburger Superintendent Gustav Rose, zusammengestellt hatte. Insbesondere in der für die Nationalsozialisten wichtigen Stadtkirchengemeinde gelang es den „Deutschen Christen“ so, den Kirchenvorstand zahlenmäßig zu dominieren. Im Unterschied zu den anderen Kirchengemeinden ergaben sich hieraus in den Folgejahren tiefgreifende Konflikte. In Opposition zu den Bestrebungen der DC schlossen sich die lutherischen Geistlichen Celles 1934 mehrheitlich der „Bekenntnisgemeinschaft der evang.-luth. Landeskirche Hannover“ an, die sich auf die Grundsätze der „Bekennenden Kirche“ bezog. Dabei ging es vor allem um die Abgrenzung der christlichen Lehre von allen politischen Ideologien und staatlichen Totalitätsansprüchen.

Exemplarisch war ein Konflikt im Jahr 1935, als eine Pfarrstelle der Stadtkirchengemeinde mit dem aus Peine kommenden Pastor Kurt Weih neu besetzt wurde, der sich der Bekenntnisgemeinschaft zurechnete. Die „Deutschen Christen“ im Kirchenvorstand opponierten gegen seine Ernennung, doch ihr Einspruch wurde im Kirchenvorstand mehrheitlich abgelehnt. Wegen eines Formfehlers drangen sie auf Wiederholung der Abstimmung, um nach einer erneuten Abstimmungsniederlage ihren Rücktritt zu erklären. Der Historiker Mijndert Bertram vertritt die Auffassung, dass die „Deutschen Christen“ damit „ihre wohl wichtigste Bastion in Celle verloren“ hatten.

Fest in der Hand der „Deutschen Christen“ war dagegen von Beginn an die reformierte Kirche, zumal ihr Pastor Karl Theodor Jung als Mitglied der NSDAP diese kirchenpolitische Ausrichtung unterstützte. Bis auf eine Ausnahme zählten sich alle Mitglieder des Presbyteriums (Kirchenvorstand) zu den Deutschen Christen. Da diese Mitgliedschaft unvereinbar war mit der Mitgliedschaft im „Reformierten Bund“, trat die Gemeinde 1938 aus diesem Dachverband reformierter Kirchen aus.

Die evangelischen Jugendgruppen wurden im Februar 1934 der HJ bzw. dem BDM angeschlossen. Dies erstreckte sich u.a. auf den sogenannten „Bibelkreis“, der gut 100 Schülerinnen und Schüler der höheren Schule und der Mittelschule umfasste und als Ziel die „Pflege kameradschaftlichen Lebens in christlicher und vaterländischer Gesinnung“ hatte. Laut Eingliederungsvertrag behielt die Evangelische Gemeinde das Recht, „ihre Jugend an 2 festzulegenden Wochentagen durch von ihr bestimmte Jugendleiter zu betreuen“, weiter verpflichtete sich die HJ bzw. der BDM, die evangelische Jugend „ihrerseits nicht mehr als 2 mal wöchentlich in Anspruch zu nehmen und für die Freihaltung der Sonntage [...], mindestens an 2 Sonntagen im Monat Rechnung zu tragen“.

Trotz dieser Vereinbarung gab es zunächst Konflikte zwischen dem Evangelischen Jugendwerk und der HJ. Eine vom NSDAP-Kreisleiter genehmigte Kundgebung des Evangelischen Jugendwerkes in der Städtischen Union am 15. Februar 1935 wurde massiv von HJ-Mitgliedern gestört. Mit Trillerpfeifen suchten sie die von gut 800, vorwiegend erwachsenen Teilnehmern besuchte Veranstaltung in ihrem Ablauf zu stören. Die HJ wurde daraufhin von Polizeibeamten des Saales verwiesen, um anschließend mit rund 100 HJ-Mitgliedern einen Demonstrationszug zu unternehmen, auf dem z.B. Parolen wie „Celle erwache! BK verrecke!“ gerufen wurden. Ein leitendes Mitglied der evangelischen Jungenschaft wurde auf seinem Heimweg zusammengeschlagen. Die scheinbar ohne Kenntnis der Parteileitung organisierte Aktion rief in der Celler Öffentlichkeit große Empörung hervor. Die Gestapo beschäftigte sich mit dem Vorgang. Der verantwortliche HJ-Bannführer musste auf Veranlassung der Reichsleitung Celle verlassen. Obwohl dieser Konflikt den Zusammenhalt der evangelischen Jugendgruppen zunächst stärkte, blieb in den kommenden Jahren nur noch ein kleiner aktiver Kern.

Ein Konflikt im Jahr 1942 ließ noch einmal das gespannte Verhältnis von Kirche und NSDAP deutlich werden. Seit 1939 leitete der Oberstudienrat Fritz Schmidt die Musikarbeit in der HJ, die sich vor allem in einer „Spielschar“ organisierte. Schmidt war Gründer und Leiter der Stadtkantorei sowie nebenamtlicher Stadtkirchenorganist. Als er anlässlich einer 100-Jahr-Feier des Hoffmann’schen Deutschlandliedes auch das Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ anstimmen ließ, verließen die der Feier beiwohnenden SS-Männer demonstrativ die Veranstaltung. Sie hätten Anstoß genommen an der Zeile „Das Wort sollen sie lassen stahn ... Das Reich muss uns doch bleiben!“. Schmidt musste daraufhin die Leitung der HJ-Spielschar abgeben.

Der Versuch einer Gleichschaltung der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden der Stadt Celle war 1935 auf der Ebene der Kirchenvorstände weitgehend gescheitert; die Eingliederung der evangelischen Jugendgruppen verlief sehr konfliktträchtig. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zielte die NSDAP zunehmend auf den Boykott des kirchlichen Alltags (Gottesdienstbesuche, Religionsunterricht) wie auch gegen die Kirchenmitgliedschaft überhaupt. So setzte die NSDAP einige Male im Jahr parallel zum Gottesdienst Kundgebungen auf der unmittelbar neben der Stadtkirche liegenden Stechbahn an. Die evangelisch-lutherischen Kirchen sahen sich einer wachsenden Zahl von Kirchenaustritten gegenüber. Die Stadtkirchengemeinde verließen in der Zeit der NS-Herrschaft 1184 Personen, in der Neuenhäuser Kirchengemeinde waren es 365 Austritte. Trotz eines rasanten Bevölkerungszuwachses in den Jahren 1933 bis 1939 um fast 40 % ging die Zahl der kirchlich Getrauten deutlich zurück und die Zahl der Konfirmierten stagnierte. Die Zahl der Kirchenmitglieder unter der Bevölkerung insgesamt war um gut 3 Prozentpunkte zurückgegangen.

Frank Bösch verweist dennoch darauf, dass das „konservative Milieu“ im Kirchenwesen ein Monopol behaupten konnte, das nur teilweise mit dem System harmonierte. In der kirchenpolitischen Auseinandersetzung „bewies das Milieu vielleicht seine größte Resistenz gegenüber den Eingriffen des Nationalsozialismus.“ Dies zeigte sich auch nach der 1936 an NSDAP-Mitglieder ergangenen Aufforderung, ihre Kirchenmitgliedschaft aufzugeben. Zwar traten Parteiaktivisten wie der Celler Kreisleiter, der Kreisbauernschaftsführer und die Kreisfrauenschaftsleiterin aus der Kirche aus, andererseits folgten der Celler Landrat und der Oberbürgermeister dieser Aufforderung nicht, ohne dass dies Konsequenzen nach sich zog. Allerdings ist bis auf die Auseinandersetzungen um die sogenannte „Judentaufe“ aus kirchennahen Kreisen kein Einsatz für vom Nationalsozialismus verfolgte Bevölkerungsgruppen belegt; ebenso wenig ist öffentlich wirksam gewordene Kritik an Maßnahmen des NS-Staates belegt.

Anmerkung: Zu Fritz Schmidt hatten wir bis zum 09.03.2015 angegeben, er sei NSDAP-Mitglied gewesen. Unsere Quelle hierfür war Bösch: Milieu 2002, S. 159; ausweislich einer uns zur Kenntnis gegebenen Karteikarte aus dem Bundesarchiv war Schmidt zwar seit dem 1.7.1933 Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund, nicht aber Mitglied der NSDAP und auch keiner anderen Gliederung der NSDAP.

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An der Stadtkirche 8, 29221 Celle
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