Victor RobergStA Celle
Victor Roberg <span>StA Celle</span>
Robert Manufaktur- und Modewaren in der Zöllnerstraße 35. <span>StA Celle</span>
Klassenfoto HBG mit Studienrat Klemm (links) und Kurt W. Roberg (vordere Reihe Mitte mit übereinandergeschlagenen Beinen) <span>Roberg 2009, S. 91.</span>

Seit 1906 lebte Victor Roberg (geb. 1884) in Celle, wo er zunächst im Warenhaus Gebrüder Freidberg beschäftigt war. Nachdem er sich mit der Übernahme einer Vertretung der Firma F. Machunsky (Marburg) für Öle und Wachse, Am Heiligen Kreuz 5, zunächst selbständig gemacht hatte, eröffnete er 1919 Am Markt 17 ein Manufaktur- und Modewarengeschäft; parallel betrieb er ein Wandergewerbe. 1929 zog Roberg in ein größeres Geschäft in die Zöllnerstraße 35 um. Um 1935 wurden die Geschäftsräume aufgegeben und der Textilhandel in die Wohnung der Familie an der Fritzenwiese 48D verlegt.

Seit 1921 war Victor Roberg mit Frieda Marx (geb. 1894) verheiratet. Die beiden Söhne – Hans-Werner (geb. 1921) und Kurt-W. (geb. 1924) – besuchten nach den Grundschuljahren an der Altstädter Schule die Hermann-Billung-Schule, wo sie 1934 die einzigen jüdischen Schüler waren. Hans-Werner Roberg wanderte 1936 in die Niederlande aus.

Am Morgen nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde Victor Roberg mit den anderen jüdischen Männer in Celle verhaftet in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Kurt-W. Roberg entging der Verhaftung nur, weil er an diesem Tag wie immer in die Schule gegangen war. Nachdem Victor Roberg am 16. Dezember 1938 aus der Haft freikam, entschlossen sich die Eltern sofort, auch ihren jüngeren Sohn zu den Verwandten nach Rotterdam zu schicken.

Frieda Roberg hatte sich bereits im August 1938 beim US-amerikanischen Konsulat in Hamburg um eine Auswanderung in die USA bemüht, wobei aber von einer Wartezeit von bis zu drei Jahren ausgegangen werden musste. Deshalb reisten die Eltern im März 1939 zunächst auch in die Niederlande. Anfang des Jahres 1940 konnten sie mit ihrem älteren Sohn in die USA einreisen. Der jüngere Sohn sollte erst seine in den Niederlanden begonnene Ausbildung beenden. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verließ er Januar 1941 mit einem Kindertransport die Niederlande.

Hans-Werner und Kurt-W. Roberg besuchten ihren Geburtsort Celle im Jahr 1985 auf Einladung der Stadt.

Kurt-W. Roberg hat zuletzt Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in seiner Geburtsstadt veröffentlicht. Keinen „Risches machen“ – das hat sich bei ihm als Hauptregel für das Verhalten in jener antisemitischen Umwelt der 1930er Jahre eingeprägt. Das bedeutete: Die Nazis nicht „provozieren“, ihnen keinen Anlass geben, die Ausgrenzung zu verschärfen. Roberg beschreibt dieses Verhalten als stillschweigende Übereinkunft der kleinen jüdischen Gemeinde in Celle:

Mit ihrem Verhalten wollte die jüdische Bürgerschaft der Stadt verhindern, dass Geschäfte oder Konditoreien Schilder mit der Aufschrift „Juden nicht erwünscht“ anbrachten. Wir Juden hielten uns freiwillig fern, um diese Schmach nicht erdulden zu müssen. Dennoch erschienen solche Schilder in verschiedenen Lokalen, so an den beiden Kinos ab 1937/38. Für die Besitzer war es ein politischer und geschäftlicher Vorteil, ihre Haltung auf diese Weise deutlich zu machen.

Schon vor 1933 verkehrten die jüdischen Familien der Stadt fast nur untereinander, die Akademiker mit Familien aus Hannover, Kaufmannsfamilien wie die der Robergs mit anderen Kaufmannsfamilien wie denen der Wolffs und den Salomons. Bis zu den antijüdischen Boykottkampagnen lieferte das Textilgeschäft des Vaters eine materielle Sicherheit, die auch eine eher unbeschwerte Kindheit ermöglichte. Selbst nach 1933 lernten Kurt-W. und Hans-Werner auf der in direkter Nachbarschaft zum Elternhaus liegende Hermann-Billung-Schule neben einigen ausgemachten Nazilehrern auch Wilhelm Klemm, Dr. Hermann Rüggeberg und Otto Volger als Lehrer kennen, die sich schützend vor die beiden einzigen jüdischen Schüler stellten. Rüggeberg und Volger wurden 1939 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Kurt-W. Roberg berichtet über Klemm:

Ein gutes Beispiel, wie Studienrat Klemm dachte und handelte, erlebte ich im Frühjahr 1936. Die Klasse plante einen Ausflug in den Harz, wo wir in der Jugendherberge übernachten sollten. Als diese Pläne in der Klasse besprochen wurden, fragte ein Junge: „Geht Roberg denn da auch mit?“ Sicherlich waren sich alle darüber im Klaren, dass Juden in den Jugendherbergen nicht erlaubt waren, sie waren jetzt ‚Ariern’ vorbehalten. „Wenn Roberg nicht geht, geht niemand!“, war die Antwort von Ete [Spitzname von Klemm] und damit war die Sache erledigt.

Nach der Pogromnacht schickten die Eltern ihren erst 14-jährigen Sohn zu Verwandten in die Niederlande, die Eltern folgten im März 1939.

Kurt-W. Roberg besuchte seinen Geburtsort Celle gemeinsam mit Hans Salomon erstmals wieder im Jahr 1952, im Jahr 1985 auf Einladung der Stadt gemeinsam mit seinem Bruder Hans-Werner. Er nahm an der Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge teil. Gestützt auf Kontakte mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit entstand die Veröffentlichung seiner Kindheitserinnerungen.

Literatur: Jüdische Spuren 1996; Roberg 2005; Roberg 2009.

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