"Auf die Verurteilung meines Vaters hat mich nie jemand angesprochen"

Eine Geschichte über das Schweigen

Wolfgang Mohwinkel wurde am 25. Dezember 1911 in Celle geboren, besuchte dort die Schule, wurde anschließend Ingenieur, trat 1933 in die SS ein, gehörte ab 1940 dem 1. Totenkopf-Reiterregiment der Waffen-SS an und leitete in den folgenden Jahren ein Zwangsarbeiterlager in Lublin, dessen jüdische Häftlinge zum überwiegenden Teil im KZ Majdanek ermordet wurden. Ab Januar 1943 organisierte er in der Zentralverwaltung der »Deutschen Ausrüstungswerke« die Rüstungsproduktion im besetzten Polen. Am Ende des Krieges verschwieg er seinen Rang als SS-Obersturmführer und lebte bis in die 1950er Jahre unter falschem Namen, blieb aber im Kontakt mit seiner Familie. 1967 wurde gegen ihn Anklage erhoben, 1974 wurde er wegen Mordes im Lubliner Zwangsarbeiterlager zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die 1984 auf dem Gnadenweg ausgesetzt wurde. Er starb 2003 in seinem Familienhaus in der »Trift« in Celle.

Das sind die Fakten eines Lebenslaufes, die einfacher dem Urteil von 1974 zu entnehmen sind als dem kürzlich von Joachim Auch herausgegebenen Buch »Ich kann auch anders! Das Leben des Lagerkommandanten Wolfgang Mohwinkel«. Der Untertitel des Bandes weist in eine falsche Richtung. Weder handelt es sich um eine Biographie Mohwinkels, noch gar um eine historiographische Studie. Was an historisch relevanten Fakten diesem Buch zu entnehmen ist, geht an keiner Stelle über das hinaus, was in der Urteilsbegründung von 1974 festgestellt wurde. Das müsste keine Kritik an dem Buch sein, das tatsächlich etwas anderes schildern will als die Geschichte eines mordenden Nazis. Es geht darum, wie die Tochter Mohwinkels und deren Ehemann sich der Geschichte ihres Vaters bewusst werden – nachdem im Familienkreis darüber nichts als Schweigen herrschte. Für dieses Schweigen finden sich in den Notaten suggestive Bilder – oder vielleicht eher naheliegende. Da gibt es ein verschlossenes Zimmer, zur Tür fehlt die Klinke. „So verschlossen wie diese Tür war auch mein Vater, wenn es um die Zeit ab 1940 bis zum Kriegsende und die Jahre danach ging.“ Was aber hinter der verschlossenen Tür sich fand, als der Vater mit 91 Jahren starb, waren Stapel von Zeitungen und die Prozessakten. Öffentliches also, nichts Geheimes. Wie aber aus den (prinzipiell) öffentlich bekannten Verbrechen ein innerfamiliäres Schweigen wurde, das schildert das Buch durchaus eindrücklich.

Der Tochter, 1942 geboren, wird der Vater zunächst als Onkel vorgestellt. Als er sich in der westdeutschen Gesellschaft so sicher fühlt, dass er seine Tarnung aufgibt und mit dem alten Namen auch seine Rolle als Familienoberhaupt wieder annimmt, muss sie ihn als Vater erst wieder anzunehmen lernen. Nach dem Grund für seine falsche Identität scheint die Tochter nie gefragt zu haben. Das Schweigen, das auch fortan herrscht, ist kein einseitiges Verschweigen. Niemand fragt und niemand spricht. Noch nach der Verhaftung des Vaters, während der Untersuchungshaft, selbst nach dem Urteil und nach der Entlassung aus der Haft ändert sich daran nichts. Und auch dieses Buch ändert daran nicht viel. Neben den Erinnerungen der Tochter und des Schwiegersohns (die im Buch anonym bleiben) setzt der Herausgeber vor allem Zitate aus der Urteilsbegründung. Beides bleibt merkwürdig unverbunden. Formulierungen wie der Kapiteltitel »Endlich ins Reine kommen« oder „umso größer der Schock der Tochter, als sie es erfuhr“, wie es auf dem Buchrücken heißt, bleiben Behauptungen, die sich der Macht des Beschweigens kaum entziehen können. Die Techniken des Ausblendens und Beschweigens werden in dem Buch anschaulich, aber ihre Macht scheint nicht zu weichen: „Mein Mann hat dann einmal nach dem Tod meiner Mutter auf der Fahrt nach Celle den Kindern vom Großvater erzählt. Während des Gesprächs gab es zwar zusätzliche Fragen, aber keine erkennbar tiefe Enttäuschung oder Betroffenheit. Auch später wurden zur politischen Vergangenheit des Großvaters keine Fragen mehr gestellt.“

Auch, Joachim (Hg.), "Ich kann auch anders!" Das Leben des Lagerkommandanten Wolfgang Mohwinkel. Erzählt in Dokumenten und Erinnerungen der Tochter und des Schwiegersohns. Haigerloch 2010. Verlag Medien und Dialog. ISBN 3-933231-89-5, 108 Seiten, 15 EUR.

 Aus: revista. linke zeitung für politik und kultur in celle, Nr. 53, März/April 2011, S. 21-22.

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