Am Sonntag, den 8. April 1945, verzeichnete das Operationstagebuch der Bomberkommandos der brit. Royal Air Force (RAF) Einsätze über Hamburg, Lutzkendorf, Dessau, Travemünde, Berlin und München, keinen über Celle. Auch das Oberkommando der Wehrmacht spricht in seinem Bericht an diesem Tag nicht von einem Fliegerangriff auf diese Stadt. In seinem Kriegstagebuch verzeichnet es den der Stadt nahen Frontverlauf: "Kämpfe südlich von Bassum und Verden. Zwischen Stolzenau und Petershagen hat der Gegner nun 20 km tief die Weser überschritten. Er gelangte bis Wunstorf und Neustadt, d.h. in Richtung Hannover. (...) Über Hameln ist der Feind heute früh mit 100 Panzern in Richtung Bremerhaven vorgestoßen. Ferner erreichte er den Westrand von Hildesheim."
In diesem Bericht steht nicht, daß Celle an diesem Tag von ca. 40 Bomben getroffen wurde. Ein RAF-Kommando von Lightning-Jagdflugzeugen zur strategischen Unterstützung der kämpfenden Bodentruppen hatte die Anlagen des Bahnhofs angegriffen. Transportwege und Treibstoffdepots waren in der letzten Kriegsphase die primären Ziele alliierter Luftangriffe, um die Handlungsfähigkeit der deutschen Wehrmacht so stark wie möglich einzuschränken.
Auf den Gleisen des Güterbahnhofs standen zur Zeit des Angriffs ein Munitionszug und ein Zug mit Güterwagen. In ihnen sollten Häftlinge aus einem vor den vorrückenden Truppen Montgomerys geräumten Außenlager des KZ Neuengamme in Drütte, nahe Salzgitter, von dort nach Bergen-Belsen transportiert werden. Da die getroffene Munition aus dem ersten Zug sich ebenfalls entzündete, potenzierte sich die Wirkung der gefallenen Bomben um ein Vielfaches. Die Celler Einwohner erlebten, dreieinhalb Tage bevor die Alliierten einmarschierten, den für ihre Stadt furchtbarsten Tag des 2. Weltkrieges. "Wir hatten ja", wie der damals zwölfjährige Wilhelm S. erzählt, "nie geglaubt, daß wir noch bombardiert würden, weil wir immer sagten: hier in der Stadtkirche , da liegen ja die Ahnen der englischen Könige begraben." In den Straßen um den Bahnhof herum sanken ganze Häuserzeilen in Schutt und Asche. Die kleinen Häuser der "Marienstraße" - sie existiert seitdem nicht mehr - wurden gänzlich zerstört. In ihnen hatten vor allem arme Leute gelebt. Heute stehen dort Gebäude der Stadtwerke.
Neben mehreren Celler Bürgerinnen und Bürgern starben über 1000 KZ-Häftlinge aus dem Transportzug. Ihr Lebensende wie auch das weitere Schicksal der am Güterbahnhof erstmal Davongekommenen wird bis heute aus der herrschenden Celler Geschichtsschreibung verdrängt.
Im Verwaltungsbericht der Stadt Celle von 1926 bis 1956 heißt es dazu nur:
"Am Sonntag, dem 8. April 1945, in den Nachmittagsstunden, griff ein Bombergeschwader erneut die Bahnanlagen der Stadt an. Neben Gleisanlagen der Neustädter Unterführung am Hauptbahnhof wurden auch eine größere Anzahl von Wohnhäusern (302) und insbesondere das Gaswerk fast völlig zerstört. Der entstandene Materialschaden war erheblich. Tief bedauerlich aber war, daß eine größere Anzahl von Zivilpersonen und ungezählte Häftlinge eines verlegten, auf dem Transport befindlichen Konzentrationslagers bei diesem Angriff ums Leben kamen. In den schon überfüllten Lazaretten mußten erneut hunderte von Verwundeten aufgenommen werden. Hinzu kam, daß westlich der Bahnlinie die Versorgung mit Strom und Wasser völlig aussetzte." [Stadt Celle (Hg.): Sechster Verwaltungsbericht der Stadt Celle für die Jahre 1926 – 1955, Celle 1964, S. 225.]
Der überlebende polnische Häftling Jan Starczewski schilderte später:

"Das Außenlager Drütte wurde am 7. April 1945 evakuiert. Die Mehrzahl der Häftlinge wurde in Eisenbahnwaggons in Richtung Bergen-Belsen transportiert. Am 8. April mittags kam der Zug auf der Bahnstation Celle an. Dort standen bereits Militärtransporte, ein Munitionszug und ein Treibstoffzug. Britische Flugzeuge griffen den Bahnhof an und bombardierten ihn in vier Wellen. Fast die Hälfte der Häftlinge kam dabei um. Aus Celle marschierten wir zu Fuß nach Bergen-Belsen, das wir am 10. April morgens erreichten. Dieses Lager wurde am 15. April nachmittags durch britische Einheiten befreit."

Starczewski unterläßt es, uns mit der erschreckenden Gesamtzahl an Toten zu konfrontieren. 2.862 Häftlinge befanden sich am 25. März 1945, dem Tag der letzten, mit Hilfe eines der berüchtigten SS-Apelle durchgeführten offiziellen Zählung, im KZ Drütte. Die meisten stammten aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich und den Niederlanden. Kurz vor und während der Evakuierungsaktion wurden mehrere Häftlinge von SS-Leuten erschlagen oder erschossen. Auch während der Fahrt des Zuges zur Station Celle starben weitere. Ein anderer Häftling berichtet:

"Wir waren alle sehr heruntergekommen. Es gab keine Wäsche, kein Zeug, keine Schuhe. Die meisten waren barfuß. Wir wurden in offene Waggions verladen. Es war ein Zug mit ungefähr 60 Waggons. In der Mitte des Zuges blieb ein leerer Waggon. Für die Leichen, die wir unterwegs hatten. Als sich dieser Waggon immer mehr mit Leichen füllte, die Arme und Beine über die Ränder herausragten, wurde auf der Strecke halt gemacht. Von uns wurden Leute kommandiert, die eine Grube graben mußten, wo wir die Leichen verbuddeln mußten. Meistens waren es ausländische Häftlinge."

Nach dem Angriff des Transportes auf dem Celler Bahnhof versuchten zahlreiche Häftlinge während der entstandenen Panik zu fliehen. Auf sie wurde durch den Einsatz von Volksstürmern, Hitlerjugend, Polizei und SS anschließend eine regelrechte Treibjagd - verbunden mit mehreren Erschießungen - veranstaltet.
Wilhelm S., der damals mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in der Birkenstraße wohnte, berichtet dazu:

"Also plötzlich tauchten Leute auf, die in - ja sagen wir mal, wie wirkte das auch mich als Junge - also als wenn die so im Pyjama aus Sackstoff liefen. Sie hatten so randlose Hüte, so schirmlose Mützen auf, auch aus dem gleichen Stoff. Und die liefen hier so durch, und die machten einen ziemlich gehetzten Eindruck. Meine Mutter sagte: 'Nun kommt mal hier rein. Was ist denn da los?' Ich war neugierig als Junge und bin dann, anstatt reinzugehen, erstmal nach vorne gelaufen, und dann sah ich gleichartig angezogene Leute auf der Straße hier langgehen. Es war damals noch nicht befestigt, es war ein sogenannter Sommerweg. Wie ich da so runtergucke in Richtung Stadt, da sah ich, wie einer mit dem Gewahr, so ein SS-Mann - man konnte es an den Kragenspiegeln sehen, die sie trugen, an dem Totenkopf, er war eigentlich leicht zu erkennen - wie er da plötzlich einen umgeschossen hat, der da lag. Bisher hatte ich gesehen, daß die da geschossen hatten, da bin ich erstmal reingegangen und habe das vom Fenster aus beobachtet - neugierig war man ja. Ja, da sah man dann plötzlich so Gruppen, so vier oder fünf oder auch einzelne Leute, durch den Dreck laufen. Es war ja Ackerland, da hatte die Gärtnerei Wiechmann ihre Felder, die pflanzten Stiefmütterchen und anderes zu der Zeit. Und da kamen die Leute, und die fielen zum Teil hin, und dann liefen wieder andere hinterher, die da hinterher schossen, und ich konnte feststellen - wir alle sahen ja, daß die Leute wegliefen in gestreifter Kleidung vor den SS-Angehörigen, die versuchten, sie zu erschießen."

Drei Jahre später, am 15. Mai 1948, wurde wegen dieser Menschenjagd einen Monat lang im sog. "Celler Kriegsverbrecherprozeß" gegen 13 Männer vor der "Höheren Britischen Militärgericht" in der Aula des Oberlyzeums (heute KAV-Gymasium) verhandelt. Sechs Leute erhielten Freispruch. Wegen jeweils mehrerer nachgewiesener Erschießungen wurden vier Männer zu Gefängnisstrafen zwischen 4 und 10 Jahren, drei Männer zum Tode verurteilt. Die Todesurteile wurden später nicht vollstreckt. Die Täter wurden begnadigt.
Von den aus Drütte aufgebrochenen KZ-Häftlingen lebten nach dem Fliegerangriff auf den Celler Bahnhof noch zwischen 1.500 bis 2.000. Nur etwa 500 erreichten Bergen-Belsen. Die übrigen sind in der Treibjagd oder während des Marsches umgekommen. Die Aufgabe, ihr Schicksal genau aufzudecken, bleibt.

Aus: Celler Zündel. Kommunale Monatszeitung, 5. Jg., 4/1985, S. 15-16