Neue Regionalstudie - Arisierung und Wiedergutmachung in Celle

Mit welcher Gnadenlosigkeit die jüdische Bevölkerung im Nationalsozialismus ausgeplündert wurde, bevor sie emigrieren konnte oder ab 1941 in die Konzentrationslager deportiert wurde, ist erst seit einigen Jahren ins Blickfeld der Historiker geraten. Eine Reihe zuletzt entstandener Regionalstudien lässt dabei deutlich werden: Das Verbrechen begann vor der eigenen Haustür. Sebastian Stiekel zeigt in seinem jetzt erschienenen Buch "Arisierung und Wiedergutmachung in Celle", wie dieser Enteignungsprozess ablief, welchen Anteil die lokalen Akteure hatten. Bei den Widrigkeiten der "Wiedergutmachung" nach 1945 erschreckt beii den vom Autor analysierten Fällen vor allem die Uneinsichtigkeit, mit der sich manche Profiteure an das geraubte Gut klammern.
Komprimiert und gut lesbar beschreibt Stiekel zu Beginn die Situation der kleinen jüdischen Gemeinde und die "Verstrickung der Celler Eliten" in den Ausgrenzungsprozess ab 1933. Jeweils mit lokalen Beispielen unterfüttert werden dann die Gesetze und Verordnungen vorgestellt, die dem Unrecht die Rechtsform gaben: Reichsfluchtsteuer, die Nürnberger Gesetze, das Devisenrecht, die auf die Pogromnacht folgende "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben" und die Perfidie der "Judenvermögensabgabe". Wer nach 1938 emigrierte, fand sich ausgeraubt. Der verbliebene Besitz konnte einzig noch zu Zwecken der Ausreise eingesetzt werden.

Sebastian Stiekel geht am Beispiel Ida Freidbergs detailliert auf diesen Enteignungsprozess ein, an dessen Ende die 1933 als vermögend zu betrachtende Besitzerin der Kaufhauses Freidberg (Am Markt / Neue Straße), im April 1941 verarmt in New York ankam.

Bis dahin hatte das Deutsche Reich seinen Kriegshaushalt mit mehreren Milliarden Reichsmark gefüllt; daneben hatten Geschäftsleute und Konzerne, Kommunen und Institutionen ihre Chance genutzt: "Die Arisierung hatte viele Facetten", schreibt Stiekel, "an ihr beteiligten sich Geschäftsleute oder selbst Großkonzerne, die expandieren oder Konkurrenz loserden wollten. Am meisten profitierte der gewerbliche Mittelstand. An der Arisierung beteiligten sich auch Privatpersonen, die äußerst günstig an begehrte Immobilien oder Vermögensgüter kamen, oder Städte und Gemeinden, die jüdische Grundstücke nutzen wollten."
Neben dem 1936 verkauften Warenhaus hatte Ida Freidberg drei Hausgrundstücke veräußern müssen und schließlich ihr Aktienpaket an den "Celler Presswerken", einer Firma die Kunsthorn für die Knöpfe herstellte. 1948/49 stellte sie fünf Anträge auf Rückerstattung ihrer Immobilien- und Firmenbesitze. Die Verfahren sind ausführlich in den Wiedergutmachungsakten dokumentiert, die Stiekel seiner Untersuchung zu Grunde gelegt hat. Im Zentrum der Verfahren steht die zumeist strittige Bewertung des "Arisierungsgewinns". Und dabei stieß der Anwalt Ida Freidbergs auf hartnäckige Gegner, und teilweise auf "alte Bekannte": Die Stadt Celle, mittlerweile Eigentümerin des ehemaligen Kaufhausgebäudes, stellte sich im Verfahren auf den Standpunkt, der Verkauf sei freiwillig, also ohne Druck erfolgt und lehnte deshalb eine Rückerstattung ab. Akteur städtischerseits war Max Vogel, der 1937/38 als Stadtsyndikus den Immobilienerwerb abgewickelt hatte. Dass die Weiterbeschäftigung des ehemaligen NSDAP-Mitglieds in der Stadtverwaltung auf Seiten des Betriebsrates für Empörung gesorgt hatte, hinderte die Verwaltungsspitze nicht daran, gerade Vogel die Stadt in der Rückerstattungssache vertreten zu lassen. Das Ergebnis bewertet Stiekel so: "Die städtischen Akten belegen, dass die Stadt Celle während des gesamten Verfahrens ausschließlich von wirtschaftlichen und finanziellen Überlegungen geleitet wurde, moralische Gesichtspunkte spielten keine Rolle." Wobei man nicht einmal davon ausging, einen angemessenen Preis bezahlt zu haben: "Intern wurde lediglich nach Möglichkeiten gesucht, es so darzustellen." Die Stadt stimmte schließlich einem Vergleich zu, der eine Entschädigung in der doppelten Höhe dessen festschrieb, was sie zwischenzeitlich einmal "freiwillig" angeboten hatte.
Die Stadt immerhin bestritt die Verfolgung Ida Freidbergs nicht. Anders agierten die Arisierungsprofiteure im Fall der Aktienveräußerung. Dort hatte man mit Heinz Bellersen einen Rechtsanwalt engagiert, der als ehemaliger NSDAP-Ortgruppenleiter wenig Anlass sah, die Rechtsstaatlichkeit des Raubzuges in Zweifel zu ziehen. Das ging bei ihm so weit, die Reichsfluchtsteuer als Maßnahme zu bezeichnen, die deshalb "keinen diskriminierenden Charakter" gehabt habe, weil sie ja nicht nur für Juden galt, sondern von jedem bezahlt werden musste, der ins Ausland wollte. Immerhin: Auch Bellersen scheiterte mit seiner Strategie.
Bellersen und Vogel sind dabei wahrscheinlich nicht einmal untypisch, und beleibe keine Celler Spezialität. Die Wiedergutmachungsgesetzgebung war eben nur zu einem geringen Teil aus moralischer Verantwortung erwachsen, sondern auf staatlichem Kalkül hinsichtlich der internationalen Politik gegründet. In der Bevölkerung war sie unpopulär, und führte sogar zu dem (antisemitischen) Ressentiment, sie würde ein Instrument abgeben, mit dem die Juden sich auf Kosten der Deutschen bereichern.
Nach der ausführlichen Vorstellung des Buches "Arisierung und Wiedergutmachung" in der Celleschen Zeitung äußerte sich ein leserbriefschreibender "Zeitzeuge": Noch nach dem Tod Ida Freidbergs habe eine Erbin "einvernehmlich und umgehend" von der Stadt Celle einen strittigen Betrag erhalten. Seine Parallelerinnerung ist wahrscheinlich nicht von ungefähr. Die Erbin, eine "bekannte Fotografin", habe eine Spiegelreflexkamera bei sich geführt, die "in Deutschland damals nicht unter 1000 DM zu bekommen" gewesen sei.

Die ursprünglich als Magisterarbeit verfasste Studie ist mit dem Förderpreis für niedersächsische Landesgeschichte der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen ausgezeichnet worden. Zu recht, denn Sebastian Stiekel hat es geschafft, die überaus komplexen Vorgänge der Ausplünderung und der "Wiedergutmachung" nach 1945 verständlich darzustellen. Dies gelingt durch die Verbindung von Mikro- und Markoebene, also die quellengesättigte Darstellung des Beraubungsvorgangs am Beispiel der Ida Freidberg (und anderer jüdischer Bürger Celles) in Zusammenhang zu bringen mit der reichsweiten Politik. Gerade der lokale Bezugsrahmen lässt darüber hinaus deutlich werden, dass dieser Raubzug sich in den Verwaltungen auf bereitwillige Helfer stützen konnte. Auch führt gerade die detaillierte Darstellung der Verfahren zu einem Verständnis der Rahmengesetzgebungen und über die Beschreibung der Strategien der Akteure zum Einblick in Nachkriegsmentalitäten.

Stiekel, Sebastian: Arisierung und Wiedergutmachung in Celle. Bielefeld (Verlag für Regionalgeschichte) 2008. ISBN 978-3-89534-762-7. 216 Seiten. 19 Euro.

Aus: Revista, Nr. 41, Dez./Jan. 2008/2009, S. 26-27.

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