Mit der Edition der umfangreichen Sammlung von Lage- und Stimmungsberichten aus den Jahren 1933 bis 1945 aus dem Kreisarchiv wird jetzt ein Quellenbestand einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, der einen tiefen Einblick gewährt in die durch die NS-Herrschaft hervorgerufenen Veränderungen und Konflikte. Der Historiker Tim Wegener hat die insgesamt 365 Berichte unterschiedlicher Akteure transkribiert und mit einer umfassenden Einleitung versehen. Der Band mit seinen 523 Seiten liefert nicht nur eine Basis für weitere Forschungen, regionalgeschichtlich Interessierte dürfen sich auf eine in weiten Teilen spannende Lektüre freuen.

Was macht diesen Quellenbestand zu etwas Besonderem? Es ist – wie es im Vorwort heißt – ein „Glücksfall“, dass diese Berichte überhaupt erhalten sind. Dazu kommt: Es ist bundesweit die erste Veröffentlichung derartiger Berichte aus dem Bereich der unteren Verwaltungsebene.

Neben den durch den Landrat abgegebenen Lageberichten an die Staatspolizeistelle Harburg-Wilhelmsburg bzw. den Regierungspräsidenten umfasst die Sammlung eine große Zahl von Dokumenten, aus denen er das Material bezog. Hervorzuheben sind dabei die vielen Berichte der Gemeindebürgermeister, in denen über das Geschehen in den Dörfern des Landkreises berichtet wird. Und vor allem auf dieser Ebene wird ihr Charakter als „Stimmungsberichte“ deutlich. Das Interesse der oberen Stellen an „ungeschminkten Berichten“ findet hier in gewisser Weise Widerhall.

Überraschen kann immer noch, dass die ländlichen Eliten und wohl auch der größte Teil der Dorfbevölkerungen die Demontage der demokratischen Institutionen der Weimarer Republik hinnahm, ohne dies als gravierenden Einschnitt zu erfahren. Im ersten Lagebericht des Jahres 1934 schreibt Landrat Heinichen: „Die politische Lage ist gut. Sie entwickelt sich ruhig und stetig im Sinne des nationalsozialistischen Staatsgedankens.“

Als Einschnitt wurden erst den Krieg und seine Folgen wahrgenommen. Die Konflikte um die Zuweisung von Arbeitskräften (Zwangsarbeit) und Wirtschaftsgütern werden zu einem durchgängigen Thema.

Es wird deutlich, wo die nationalsozialistische Politik Konflikte produziert („Kirchenstreit“, Inanspruchnahme von Land durch Rüstungsprojekte, Mangelwirtschaft) und an welchen Punkten die Zustimmung zum Regime gelegentlich in Skepsis umschlägt.

Interessant sind z.B. Kommentare von Bürgermeistern nach Stalingrad. Im Juni 1943 heißt es aus Nordburg:

„Die Stimmung der Bevölkerung kann ich nicht als sehr rosig bezeichnen. Ich will das aussprechen. Sie ist so, wie das im 4. Kriegsjahr zu sein pflegt. Man sieht doch schon manches besorgte Gesicht. Stalingrad, Nordafrika und der Luftkrieg haben Spuren hinterlassen. Immer wieder wird die Frage gestellt: „Wann ist der Krieg zu Ende?“ Daß am Schluß des Kampfes der Sieg stehen muß, weiß wohl jeder. Nur über das „Wie“ zerbricht man sich den Kopf. Gewisse Leute, die Schwarz sehen, gibt es überall. Leider hört manch einer danach hin.“

Aber – wie Wegener konstatiert: „Aus ihnen etwa auf eine schwindende Zustimmung zum System zu schließen, wäre sicherlich falsch, denn eine grundlegende Kritik am Nationalsozialismus findet sich in keinem der Berichte. Vielmehr liegt es nahe, dass es sich in vielen Fällen um 'normale' Interessenkonflikte handelte, d.h. Klagen vor allem dann laut wurden, wenn die eigene Lebenswelt bedroht schien.“

Die wenigen im Landkreis Celle lebenden Jüdinnen und Juden tauchen nur gelegentlich als Gegenstand in den Berichten des Landrats auf. Das Konzentrationslager Bergen-Belsen findet nur Erwähnung im Zusammenhang mit den Arbeitskräften der Außenlager.

Erwähnt sei schließlich, dass sich in dem Band auch einige bisher unveröffentlichte Fotos finden, z.B. jenes (siehe oben) von einer NSDAP-Parteiveranstaltung in Hohne im Jahr 1933.

Wegener, Tim: Die Bevölkerung hat vollstes Vertrauen zum Führer ... Lage- und Stimmungsberichte aus dem Landkreis Celle 1933–1945.
Herausgegeben vom Museumsverein Celle e.V. und dem Landkreis Celle – Kreisarchiv. Verlag für Regionalgeschichte. Bielefeld 2016. ISBN 978-3-7395-1054-5, 538 Seiten, 24,00 Euro

Aus: revista. linke zeitung für politik und kultur in celle, Nr. 78, Febr./März 2016, S. 26

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