Ein fragmentarischer Schriftwechsel zum Versuch, die Täter des Celler Novemberpogroms strafrechtlich zu verfolgen

In der Nacht von 9. zum 10.11.1938, der Reichspogromnacht, wurden in Celle die Synagoge, der jüdische Friedhof, vier noch verbliebene jüdische Ladengeschäfte und die Praxis des Rechtsanwalts von der Wall zerstört, verwüstet und teilweise geplündert. Fast alle jüdischen Männer und Jugendlichen Celles wurden verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert. Mitte Dezember wurden sie wegen der durch ihre Abwesenheit entstandenen formalen Probleme bei der Arisierung ihres Besitzes entlassen.
Zu den Tätern der Pogromnacht in Celle gehörte u.a. der spätere Oberbürgermeister der Stadt, Dr. Kurt Blanke. Elmar Maibaum hat in seiner Recherche "Die Reichspogromnacht in Celle" die Zusammenhänge ausführlich dargestellt. Die Namen zwei anderer Täter sind bekannt, weil sie - wie auch Blanke - nach dem Pogrom aus der SA austraten. Über alle anderen Täter wurde von denen, die es wussten, immer geschwiegen.
Die Strafverfolgung der Verbrechen der Pogromnacht spielte im Nachkriegsdeutschland eine eher untergeordnete Rolle, ausgeprägt gab es einzig in Hessen Ermittlungen, Prozesse und Verurteilungen. Im Aktenbestand "1 D 23 a" des Celler Stadtarchivs gibt es einen interessanten Schriftwechsel, der im folgenden dokumentiert werden soll.
Der Celler Arzt Carl Credé-Hoerder (1878-1954), zudem nebenberuflich ein in der Weimarer Republik viel gespielter Theaterautor ("§ 218 - Gequälte Menschen"), wandte sich im November 1945 an den von den Briten eingesetzten Oberbürgermeister Walther Hörstmann (1898-1977). Eindringlich bat er darum, die Stadt möge sich für eine juristische Verfolgung der Verbrechen der Pogromnacht einsetzen. Neben dem Sinnen auf Gerechtigkeit ging es ihm auch darum, dass die Deutschen sich selbst um die Aufklärung der Verbrechen und die Bestrafung der Täten kümmern und dies nicht den Alliierten überlassen sollten. Der Vorgang ist offenbar nicht vollständig erhalten, aber auch so aufschlussreich.
Das angesprochene Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom Dezember 1945 ermöglichte den deutsche Gerichten, Verfahren gegen die Täter der Pogromnacht in Gang zu bringen. Trotz der Bemühungen Carl Credé-Hoerders ist es in Celle nicht zu einem solchen Prozess gekommen.
 

5. November 1945
Credé-Hoerder an Hörstmann
Vor drei Wochen unterbreitete ich Ihnen die Angelegenheit des Celler Juden-Pogroms [Credé schreibt immer Progrom]. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in nicht zu ferner Zeit mir meine Anfrage beantworteten. Ich glaube, dass es dem Interesse der Stadt, überhaupt unser aller Interesse, sehr abträglich sein könnte, wenn wir die Initiative den Celler Juden und der All. Militär Behörde überliessen.
 

7. November 1945
Hörstmann an den Regierungspräsidenten
In der Anlage überreiche ich eine Zuschrift nebst einem Exposé über das Judenpogrom [auch Hörstmann schreibt "Judenprogrom"] im November 1938. Ich wäre für eine Mitteilung dankbar, ob Sie es für zweckmäßig halten, die Angelegenheit politisch anzusehen und demgemäß vorzugehen. Ich hatte daran gedacht, die Angelegenheit an den Herrn Generalstaatsanwalt in Celle abzugeben, damit bei Wiedereröffnung der Gerichte diese damit beschäftigt werden.

20. November 1945
Hörstmann an Credé-Hoerder
Wegen der von Ihnen angeregten Aufnahme des Verfahrens gegen diejenigen, die sich an dem Judenpogrom 1938 beteiligt hatten, teile ich Ihnen mit, dass ich wegen der Grundsätzlichkeit der Frage mich an den Herrn Regierungspräsidenten in Lüneburg gewendet habe. Von dort erhalte ich jetzt den Bescheid, dass der Herr Oberpräsident ... wegen dieser leider überall in Szene gesetzten Ausschreitungen generelle Anweisung erteilen wird.

24. November 1945
Credé-Hoerder an Hörstmann
Ich weiss aus ganz sicherer Quelle, dass vorgestern der Hauptvertreter der Judenschaft aus Hannover hier war, um Erhebungen anzustellen, in wieweit die Juden infolge des bekannten Pogroms Schaden erlitten haben. Angeblich sollen die Erhebungen von der Alliierten Militär Behörde in die Hand dieses Herrn gelegt sein. Alle Celler Bürger, die sich die Notlage der Juden zunutze gemacht haben, um deren Häuser aufzukaufen, sollen angeblich gezwungen werden, diese wieder herauszugeben. Obwohl ich nun seit 3 Monaten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt habe, um zu vermeiden, dass seitens der Juden oder Engländer diese peinliche Pogrom-Frage angeschnitten wird, ... ist es nun doch schon beinahe soweit, dass wir jede Chance verwirken, von Deutscher Seite aus unseren guten Willen zu dokumentieren, dieses große Unrecht an den Juden gut zu machen. ... In meinem einfachen Bürgerverstand erscheint es mir als das Nächstliegende, unverzüglich seitens der Stadt Celle eine Anzeige betr. des Pogroms bei der doch bestehenden Staatsanwaltschaft Lüneburg zu machen. Diese einfache Anzeige genügt ja dann, uns Deutschen das Prioritätsrecht zu sichern. Um klarer zu sehen, habe ich Schritte unternommen, um mit dem jüdischen Vertreter und dem hiesigen Rab[b]iner ins Gespräch zu kommen. Auf diese Weise werde ich wenigstens erreichen, später immer beweisen zu können, dass es in Celle Menschen gegeben hat, die aus einem selbstverständlichen Sauberkeitsgefühl und Gerechtigkeitsgefühl heraus die Pogromsache zur Sprache und zur Sühne bringen.
 

27. November 1945
Hörstmann an Credé-Hoerde
Bezüglich der unter allen Umständen nötigen Aktion zur Klarstellung des Judenpogroms und der sich daraus ergebenden Wiedergutmachung haben wir durch Vorlage der Vorgänge bei dem Herrn Regierungspräsidenten in Hannover m.E. durchaus unsere Priorität gewahrt. Aus einer persönlichen Unterredung mit dem Herrn Generalstaatsanwalt habe ich auch durchaus den Eindruck gewonnen, daß alle damit zusammenhängenden Fragen zu gegebener Zeit aufgerollt werden.

7. März 1946
Hörstmann an Credé-Hoerder
In der Frage der Strafverfolgung der an den Pogromen im November 1938 Beteiligten ist man nun offenbar einen Schritt weitergekommen. Der Herr Regierungspräsident in Lüneburg gibt mir auf meinen Bericht vom 7. Nov. 45 Kenntnis von einer Mitteilung des Herrn Oberpräsidenten an den Herrn Generalstaatsanwalt in Celle mit folgendem Wortlaut: "In der Anlage überreiche ich ... einen Bericht des Herrn Regierungspräsidenten in Lüneburg vom 15. Nov. 1945 - I Pol. 31 - mit der Bitte um Stellungnahme. Die darin berührte Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen früher begangene Verfolgungen jüdischer Staatsbürger strafbar sind und verfolgt werden können - eine Frage die bisher zweifelhaft sein konnte - dürfte jetzt durch das Gesetz Nr. 10 des Kontrollrats vom 20. Dezember 1945 beantwortet sein. Danach sind als Verbrechen strafbar (Art. II) Ausschreitungen aller Art gegen Zivilpersonen aus rassischen Gründen. ... Eine Verfolgung vor deutschen Gerichten dürfte aber nach Art. III des Gesetzes (1d - 2) nur möglich sein auf Grund einer besonderen Ermächtigung der britischen Besatzungsbehörde über die Regeln und das Verfahren trifft, nach denen die Verfolgung zu erfolgen hat. ..."
Ich hoffe, dass man nun in absehbarer Zeit auch gegen diese Verbrecher vorgehen wird.

11. März 1946
Credé-Hoerder an Hörstmann
Ich bin überzeugt, dass wir in kurzer Zeit erkennen werden, wie wichtig es ist, dass deutscherseits die Initiative zur Strafverfolgung ergriffen wurde.

16. März 1946
Credé-Hoerder an Sievers
Ich bearbeite z.Zt. die Angelegenheit der Judenverfolgung von Celle. Nun ist es nach dem Pogrom zu zahlreichen Auktionsversteigerungen und Liquidierungen jüdischer Firmen in Celle gekommen. Angeblich hat die Stadt den Bücherrevisor Kraus, Ohagenstrasse 2, als Treuhänder bestellt. Er hat mir auch schon einige sehr wertvolle Aufschlüsse gegeben. Ich bin mir aber immer noch nicht klar darüber, von wem aus die Liquidierungen erfolgt sind. Kraus verweist mich in dieser Frage an Sie.
 

22. März 1946
Sievers an Credé-Hoerder
Der Bücherrevisor Kraus ist am 13. Dez. 1938 von der Stadtverwaltung im Einvernehmen mit der Industrie- u. Handelskammer zum Abwickler der jüdischen Geschäfte von Oskar Salomon, Hans Salomon u. Siegfried Wolff in Celle bestellt  u. zwar auf Grund der §§ 3 der Verordnung zur Durchführung der Verordnung [eigentlich: des Gesetzes] zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23.11.1938 / RGBl. S. 1642.
Für die Verwertung der Warenlager waren von der Industrie- u. Handwerkskammer als Abwickler bestellt u. zwar für das Schuhwarenlager von Oskar Salomon der Kaufmann L. Rodenberg zu Hannover u. für die Textilwarenlager von Hans Salomon u. Siegfried Wolff der Kaufmann Wilhelm Wiese in Hannover. Für die übrigen jüdischen Geschäfte ist kein Abwickler bestellt. Berta Hellmann, Mauernstr. 38, hat ihr Haus an Möbelhändler Feß [Mauernstr. 40] verkauft, das Warenlager von Julius Wexeler hat der Reisende Eggers übernommen, Viktor Roberg, Fritzenwiese Nr. 42, hat wahrscheinlich kein besonderes Warenlager besessen. In welcher Weise die Produktengeschäfte von Henry Salomon u. Mendel Schul abgewickelt sind, läßt sich aus den Akten nicht feststellen. Ebenso nicht bei dem Schuhmacher Gezelewitsch [Schuhstr. 23]. Auktionen haben bei den durch Kraus abgewickelten Geschäften m. W. nicht stattgefunden. Soweit ich mich entsinne, hat das Lager von Wolff die Firma Gödecke + Mittelmann zu einem höheren als dem Schätzwert übernommen. Das Schuhwarenlager von Salomon ist wahrscheinlich von dem Schuhhaus Peetz [Poststr. 7] übernommen. Die Art der Verwertung des Lagers von Hans Salomon ist mir nicht mehr in Erinnerung.

Zusammenstellung und Einleitung: Blumer

Aus: Revista, Nr. 11