Die letzten Kriegstage in Celle

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Britsche Truppen auf ihrem Weg durch Celle, 13. April 1945
Britsche Truppen auf ihrem Weg durch Celle, 13. April 1945
Imperial War Museums

Die Ereignisse des 12. April 1945 sind schnell erzählt. Ohne Gegenwehr rückte eine schottische Einheit an diesem Tage früh morgens in die Stadt Celle ein, nachdem sie am Vortage die westlich der Fuhse und der Bahnlinie gelegenen Stadtteile erreicht hatte.

Die Unterführung am Bahnhof und der Wiesenstraße waren durch den Bombenangriff vom 08. April unpassierbar geworden, weshalb die Einnahme Celles nicht schon in den Abendstunden des 11. April erfolgte. Die Briten wollten die Morgenstunden abwarten, um die Gleisanlagen zu überwinden. Zu irgendwelchen Straßengefechten kam es nicht. Die Stadt war zwar von Menschen vollgepfercht aber die Straßen waren doch menschenleer. Nur eine MG-Salve der Briten traf in der Bergstraße vor der dortigen Polizeistation zwei Polizisten, die fälschlicher Weise von den Briten als Soldaten identifiziert worden waren. Es waren wohl die letzten Gefechtstoten des 2. Weltkrieges in Celle.
Die Wehrmacht hatte sich, die Aussichtslosigkeit einer Verteidigung erkennend, vollständig in der Nacht aus Celle zurückgezogen und nach überqueren der Aller nach Norden hin die Eisenbahnbrücke, die Allerbrücke und die Pfennigbrücke auftragsgemäß gesprengt. Der dabei verwandte Sprengstoff war so bemessen worden, dass er fast keine Schäden in der Nachbarschaft hervorrief. Schon nach wenigen Stunden hatten die Briten mittels einer Pontonbrücke neben der zerstörten Allerbrücke den Torplatz am Nordufer erreicht und konnten so in das Hehlentorgebiet der Stadt vordringen. Celle war in der Hand der Sieger-Mächte. Der 2. Weltkrieg war für Celle zu Ende.
So unspektakulär dieser Tag verlief, umso dramatischer waren die Tage davor und danach. Hier überschlugen sich die Ereignisse. Es herrschten teils chaotische Zustände in der Stadt. Und deshalb lässt sich der 12. April nur aus den Vorkommnissen der Tage und Wochen zuvor erklären. Was war diesem Tag vorausgegangen, warum blieb es so ruhig, warum keine Gefechte, wie war die Lage?
Hatte die Volkszählung von 1937 rund 37.000 Einwohner ergeben, so lebten knapp 8 Jahre später gegen Ende des Krieges am 24. März 1945 51.800 Menschen in der Stadt und täglich schwoll diese Zahl durch Flüchtlinge aus Ost und West an. Die Wohnungs- und Versorgungslage der Bevölkerung war bedrückend. Die Ordnung in der Stadt war immer schwerer aufrecht zu erhalten. Oberbürgermeister Meyer, selbst schwer krank, weigerte sich, den Aufforderungen des Gauleiters Telschow nachzukommen und zu den bereits vorhandenen 11.000 Flüchtlingen im unzerstörten Celle weitere 20.000 Menschen aufzunehmen. Probleme bereiteten auch die ca. 3.400 Zwangsarbeiter, in den über die Stadt verstreuten Lagern, die für die Arbeitserledigung bei diversen Firmen unerlässlich waren, aber bewacht werden mussten. Landrat Heinichen schrieb in dieser Situation wie folgt an den Regierungspräsidenten in Lüneburg: ?In weiten Kreisen herrscht die Meinung vor, dass in verantwortlichen Stellen des Staates und der Partei seit langem manches faul sei und das jetzige Versagen der Verantwortlichen lediglich eine Folge ihres bisherigen verwerflichen Treibens sei?. Große Sorge machte sich auch Generalmajor Paul Tzschöckell, der Standortälteste, über die Lage. Er, der in Celle mit seiner Familie lebte, überlegte angestrengt, wie Celle als Stadt gerettet werden könne, ohne dass er seine militärischen Pflichten zur Verteidigung verletzte. Nur der Kreisleiter der NSDAP Willy Milewski, ein Uralt- Nazi von 1931, war unbeirrt und verkündete Durchhalteparolen und fand bei der Führung der HJ und anderen noch rückhaltlose Unterstützung.
Jeder, der die Lage beim Namen nannte, lief Gefahr denunziert zu werden und vor ein Kriegs- oder Sondergericht gestellt zu werden. Insgeheim wusste jeder, es konnte nur noch um wenige Wochen oder Tage gehen. Die Russen standen an der Oder und die Briten hatten die Weser erreicht und das Ruhrgebiet eingeschlossen. Dies hätte entgegen anderen Beteuerungen auch der NSDAP-Kreisleitung klar gewesen sein müssen, aber dennoch ordneten Gau- und Kreisleitung der Partei an, dass die Stadt bis zum Äußersten zu verteidigen sei. Bei einer Zusammenkunft des Gau-Leiters mit Industriellen und größeren Geschäftsleuten bei der Handelskammer, wurde der Befehl des Reichsverteidigungskommissars ausgegeben, nachdem der jeweilige militärische Befehlshaber beim Verlassen des Standortes bzw. dem Einmarsch der feindlichen Truppen alle lebenswichtigen Betriebe der Versorgung, ja bis hin selbst zu den Bäckereien, zu zerstören und zu sprengen habe.
Tzschökell hat anschließend die Industriellen und Betriebsleiter aus Celle gebeten, sich dieserhalb mit ihm in Verbindung zu setzen. Dies tat keiner. Er selbst war insgeheim fest entschlossen, den Befehl auch nicht zu geben, aber ihm war klar, geschehen musste etwas, denn noch bestand der Kriegszustand, die Macht der Partei war nach wie vor ungebrochen und die Kriegs- und Standgerichte arbeiteten unbeirrt weiter und fällten Todesurteile.
So teilte Generalmajor Tzschökell Oberbürgermeister Meyer und Landrat Heinichen in der 1. Aprilwoche mit, dass das prallgefüllte Proviantamt, das noch etwa 40.000 kg Reis und vieles andere mehr enthielt, nicht in Feindeshand fallen solle und deshalb abgefahren werden könne, um es der Bevölkerung zu Gute kommen zu lassen. Dies geschah umgehend und so wurde die Versorgungslage für die nächsten Tage erst einmal entspannt.
Schwieriger aber war noch die militärische Lage. Wie konnte der militärische Auftrag der Verteidigung erfüllt und dennoch Celle selbst vor Zerstörung bewahrt werden? Tzschökell entschied sich - wie er später eindrucksvoll berichtete - dazu, die Verteidigungslinie so weit von Celle wegzulegen, dass der Beschuss von dort Celle nicht erreichen könne. Die Verteidigungslinie wurde von ihm auf die Linie Südwinsen, Ovelgönne, Rixförde, Ehlershausen, Wienhausen festgelegt und dort die wenigen Truppen, die er noch zur Verfügung hatte, zur Verteidigung Celles in Stellung gebracht. Er konnte dies allein entscheiden, da er in den ersten Apriltagen jeglichen Kontakt zur Heeresleitung nach Hannover verloren hatte.
Aber nicht nur Tzschökell machte sich große Sorgen um die Stadt und ihre Menschen. Am 05. April bat telefonisch ein bedeutender Celler Tiefbohrunternehmer, der Chef der ITAG Hermann v. Rautenkranz - 1973 zum Ehrenbürger unserer Stadt ernannt - den Generalmajor in seine Wohnung. Dort fand, was dieser nicht ahnte, eine Versammlung von Vertretern der wichtigsten Celler Industriebetriebe statt. Sie beschworen den Generalmajor alles zu tun, um die Stadt zu retten und eine Vernichtung der Einwohner zu verhindern.
Parallel regte sich auch ein Kreis wieder, der offensichtlich in der NS-Zeit, obwohl verboten, Kontakt untereinander gehalten hatte. Es waren Anhänger er ehemaligen Sozialistischen Arbeiterpartei um den Maurer Karl Wesemann. Auch sie nahmen, ebenso wie die Industriellen, Kontakt zu Tzschökell auf und gewannen die Gewissheit, dass er alles in seiner Macht stehende tun werde, Celle Kampfeshandlungen zu ersparen. Es ergab sich eine merkwürdige Konstellation zur Rettung Celles. Ein General der Wehrmacht, ein der NSDAP angehörender, aber immer nachdenklicher werdender Oberbürgermeister, eine sozialistische Widerstandsbewegung und die heimische Wirtschaft und Industrie. Sie scheuten sich nicht mehr, verdeckt miteinander Kontakt aufzunehmen. Ihr gemeinsamer Gegner war die NSKreis- und Gauleitung und die immer noch verblendeten Führer der HJ.
Doch bevor es zu weiteren konspirativen Absprachen kommen konnte, wie die Lage zu meistern sei, ereignete sich der fürchterliche Luftangriff vom 08. April, über den ich am Erinnerungstag berichtet und ihm namens der Stadt gedacht habe. Die SA und die SS hatten ihren letzten verbrecherischen Auftritt gehabt.
Danach, ab dem 10. April, überschlugen sich die Ereignisse. Die Ordnung in der Stadt schien zusammen zu brechen. Die in verschiedenen Lagern, aber auch in privaten Quartieren untergebrachten Zwangsarbeiter, wurden zunehmend unruhig. Weder Polizei noch Stadtverwaltung traten in Erscheinung, um die Sicherheit aufrecht zu erhalten. Gerüchte von Überfällen und Vergewaltigungen liefen um. Und auch die Kreisleitung der NSDAP in der Trift war nicht mehr zu sehen. Das Einzige, was von ihr sichtbar wurde, waren große Rauchwolken. Offensichtlich wurden dort massenhaft Akten verbrannt, um alles Beweismaterial zu vernichten. Gleiches geschah übrigens auch aus gutem Grund bei der Arbeitsverwaltung.
Die Konspirateure des 5. und 6. April fassten angesichts der aussichtslosen Lage noch einmal Mut und entsandten am selben Tage zwei Offiziere zu Kreisleiter Milewski, um ihn zu bitten, Celle nicht durch unsinnige Verteidigungsmaßnahmen zu gefährden. Er wies, wie die Emissäre danach berichteten, dies mit der Bemerkung zurück, es sei besser, wenn 20.000 im Heldentod ihr Leben verlören, als wenn später 10.000 verhungerten.
Noch am selben Tag, dem 10. April, spitzten sich die Dinge zu. Offensichtlich auf Anweisung von Milewski war einer aus der Gruppe der Widerstandskämpfer, ein alter Kommunist, auf offener Straße erschossen worden. Es kam zu einer erregten Auseinandersetzung.
Oberbürgermeister Meyer und Generalmajor Tzschökell verabredeten sich daraufhin, Milewski aus dem Verkehr zu ziehen. Der Generalmajor sagte zu, ihn in Schutzhaft zu nehmen. Dessen bedurfte es allerdings nicht mehr, weil Milewski selbst den General seinerseits darum bat, die Dienststelle der Kreisleitung von der Trift in die von-Seeckt- Kaserne an der Hohen Wende verlegen zu dürfen, da ihm die Dienststelle in der Trift für sich selbst nicht mehr sicher genug erschien. Tzschökell entsprach dieser Bitte und ordnete für die Wachhabenden an, dass Milewski ohne seine Zustimmung das Kasernengelände nicht verlassen dürfe. Milewski?s Spiel und damit das der NSDAP in Celle war damit aus.
Am 11. April, nachdem zuvor Hannover eingenommen worden war, kamen auf dem Rückzug versprengte kleine Einheiten ohne Waffen und Munition vom Süden her nach Celle. Es waren verzweifelte niedergeschlagene Menschen. Sie wurden in die geringen Einheiten Celles integriert. Von dort, von Ehlershausen, erwartete Tzschökell auch den Angriff auf Celle und hatte fast alle noch verfügbaren Kräfte hier zusammen gezogen. Er irrte, der Angriff und der Durchbruch erfolgte stattdessen von Westen. Fast mühelos erreichten die Briten, nachdem sie die schwache Linie zwischen Südwinsen und Rixförde durchbrochen hatten, so das Stadtgebiet und drangen in den Abendstunden des 11. April bis zum Neustädter Holz vor. Die Fehleinschätzung der militärischen Strategie des Gegners - niemand vermag zu sagen, ob sie nicht vielleicht sogar bewusst erfolgte, um größere Kampfhandlungen zu vermeiden - hatte zwei positive Aspekte. Erstens wurden nur ganz wenige Soldaten bei den Kampfeshandlungen im Westen getötet, während die Verluste bei Ehlershausen mit Sicherheit erheblich größer gewesen wären, und zweitens wurde es auf diese Weise möglich, in der Nacht zum 12. April alle Einheiten der Wehrmacht aus Ehlershausen, Adelheidsdorf und Wienhausen noch zurückzuziehen und ohne Gefechte nördlich über die Aller mit Zielrichtung Unterlüß zu verlegen.
Zur gleichen Zeit, als die Engländer die Pontonbrücke über die Aller bauten und übersetzten, verließen die letzten Soldaten der Wehrmacht die Stadt in Richtung Eschede. Der Krieg war aus. Die Altstadt Celle, sowie tausende von Menschenleben gerettet.
Diese Chronologie der Ereignisse, die ich in aller Kürze aber auch Dramatik hier noch einmal darstellen wollte, habe ich dem Buch "Celle 45 - Aspekte einer Zeitenwende" des Bomann-Museums und den dort angegebenen Quellen entnommen, sowie der CZ-Serie aus dem Jahre 1950 - Schicksalstage in der Heide - in der die CZ die Ereignisse des Kriegsendes aus der Sicht eines Generals und eines Landsers wiedergibt, ferner dem Memorandum des Generalmajors Paul Tzschökell vom Sommer 1948, das dieser, in seine Heimatstadt Celle zurückgekehrt, zeitnah niederschrieb.
Das Studium dieser Dokumente ist beeindruckend. Es fesselt einen geradezu und lässt den Leser nicht wieder los. Bei fast jeder dieser nüchtern niedergeschriebenen Begebenheiten ging es um Entscheidungen über Entbehrungen und Hunger, Leben und Tod. Welch innerer Zerreißprobe waren die Verantwortlichen und die vielen, die Verantwortung fühlten und übernahmen, nahezu stündlich ausgesetzt? Unmenschliches wurde gerade denen abverlangt, die menschlich handeln wollten, sie mussten gegen den Strom schwimmen, ohne in die Gefahr zu geraten, unterzugehen.
Wer hat welchen Beitrag zum Wunder von Celle, der Nichtzerstörung unserer Stadt, geleistet? Auch nach Studium dieser Unterlagen kann dies keiner mit Gewissheit sagen oder waren es doch nur Zufälligkeiten, reine Glücksumstände?
Wer war wie stark in das NS-Regime und die Schreckensherrschaft verstrickt und erkannte erst sehr spät den Irrweg, war aber in den letzten Tagen dann doch bereit, umzukehren und der Stadt für die Zukunft für den Neuanfang eine Chance zu geben?
War nun die militärische Niederlage das Ende oder der Anfang? Kapitulation oder Befreiung? Jede Familie hat in diesen schrecklichen Jahren des Krieges den Tod von Angehörigen zu beklagen gehabt. Wie fühlen sie, wenn sie sich 60 Jahre später zurück erinnern? Ist die persönliche Trauer um die Angehörigen aufzuwiegen gegen das eigene Glück, 60 Jahre in Frieden, Freiheit und Wohlstand gelebt zu haben? Sind die Wunden vernarbt? Ist es überhaupt zulässig, das was die Menschen damals fühlten und empfanden, ausdrückten und artikulierten, 60 Jahre danach neu oder umzuinterpretieren und dies als die geschichtliche Wahrheit bezeichnen zu dürfen? Ich habe nicht nur Scheu dies zu tun, sondern auch große Skepsis, dies um der Wahrheit Willen tun zu dürfen.

Auch 60 Jahre nach diesen Ereignissen, können viele Fragen nicht verbindlich beantwortet werden und noch mehr werden nie mehr zu beantworten sein. Aber eins ist mir durch das Studium der Unterlagen deutlich geworden. Jeden Tag ging es um existenzielle Entscheidung von großer Tragweite. Jeden Tag war jeder Einzelne gefordert sich zu verantworten. Ich bin dankbar, nicht in jener Zeit habe handeln zu müssen und dankbar meinen Eltern, die damals stark genug waren, immer so zu entscheiden, wie sie entschieden haben.
Meine und die nachkommenden Generationen haben diesen Männern und Frauen, die all dies durchleiden mussten, den Mut zur Zukunft nie verloren, nie aufgaben und unser Land wieder aufbauten, unendlich viel zu danken.
Zurück zu jenen Tagen, wer geglaubt hatte, mit Ende des Krieges werde wieder Ruhe und Ordnung in der Stadt einkehren, sah sich getäuscht. Das Chaos nahm unvorstellbare Züge an. Insbesondere nach der Befreiung des Lagers Bergen-Belsen schwoll die Einwohnerzahl der Stadt im Mai auf ca. 70.000 Menschen an, wovon rund 23.000 ausländischer Herkunft waren. Man bezeichnete sie später als "displaced persons". Sie genossen nicht nur ihre neu gewonnene Freiheit, sondern nahmen sich auch, was sie kriegen konnten. Sie standen den mittellosen Deutschen insoweit nichts nach. Warum auch?
Die Briten sahen anfangs diesen Geschehnissen tatenlos zu. Am 14. und 15. April hatten sie den Oberbürgermeister, den Landrat und weitere Exponenten der bisherigen Ordnung in Stadt und Landkreis Celle festgenommen und in einer ersten Entnazifizierungswelle ins Internierungslager gebracht. Irgendeine Autorität gab ist nicht mehr. Nachdem die Rechtlosigkeit der ungestraften Plünderungen, Zerstörung, Raubzüge, Körperverletzungen bis hin zu Morden, ein nie vorstellbares Maß angenommen hatte, sich regelrecht Banden gebildet hatten, gelangte die Militärregierung schließlich zu der Auffassung, diesem Unrecht Einhalt gebieten zu müssen und auch wieder eine zivile Ordnungsinstanz einsetzen zu müssen. So wurde am 10. Mai 1945 Walter Hörstmann, der seit 1944 Direktor der Celler Straßenbahn gewesen war und wegen seiner Zugehörigkeit zur Freimaurerloge von den Nazis aus dem Beamtenverhältnis als Sparkassendirektor in Lüneburg entlassen worden war und deshalb für die Briten als unbelastet und absolut unverdächtig galt, von diesen zum Oberbürgermeister berufen. Er verstand es schon nach nur zwei Wochen bei der Militärregierung, sowie dem Regierungspräsidenten in Lüneburg und dem Oberpräsidenten in Hannover, die Bildung einer Stadtregierung in Form von drei Dezernenten und sechs von ihm zu berufenden Beiräten zu schaffen.
Es waren sämtlichst Männer, die sich durch untadeliges Verhalten schon früher hervorgetan hatten. Zu Dezernenten wurden als erster Ernst Schädlich, der frühere Senator der Stadt Celle, der von den Nationalsozialisten entlassen worden war und nun in Hannover lebte, in sein altes Amt berufen. Theo Wilkens wurde Stadtbaurat und Friedrich Schöne übernahm die Verantwortung für die Finanzen. Zu Beiräten wurden von Hörstmann die beiden Altkommunisten Otto Elsner und Willibald Lübcke als Referenten für das Siedlungs- und Wohnungswesen bzw. die Polizei berufen und der Sozialdemokrat Albert Köhler für öffentlichen Arbeitseinsatz. Alle drei hatten vor 1933 dem Bürgervorsteherkollegium angehört. Aus dem bürgerlichen Bereich berief Hörstmann den Schlachtermeister Hermann Matthies aus der Zöllnerstraße, den Amtsgerichtsrat Dr. Gustav Püllmann und den Dipl.-Bau-Ing. Wilhelm Maschke. Damit war Celle in der Provinz Hannover die erste Stadt, die wieder eine arbeitsfähige, intakte Stadtverwaltung besaß. Der Neuanfang war gemacht, das schrecklichste Kapitel deutscher Geschichte abgeschlossen. Die Not der Menschen dauerte indes noch Jahre weiter an. Die entbehrungsreichste Zeit stand den Familien in den Jahren 46/47 noch bevor.
Das, was ich aus dem Jahr 45 geschildert habe, war nur der Zeitraum von zwei Monaten. Ein Bruchteil des Schreckens, aber immer wieder Wert genug, in Erinnerung gerufen zu werden. Im nächsten Jahr werden wir Kommunalwahl haben. Dann jährt sich zum 60. Mal das Ereignis der 1. freien geheimen Kommunalwahl nach dem 2. Weltkrieg. Ob wir uns dann, bei den Debatten, die wir miteinander führen, der Tatsache bewusst sein werden, wie unverhältnismäßig gering unsere Probleme von heute mit denen sind, die es vor 60 Jahren von den Männern und Frauen zu lösen galt, und vielleicht sind wir ja in Erinnerung an damals bereit, auch über alle Parteigrenzen hinweg mehr Gemeinsamkeiten zu suchen und weniger die häufig künstlichen parteipolitischen Unterschiede zu betonen. Denn wir alle sollten uns bewusst sein, dass wir angesichts der Vergangenheit eine hohe Verantwortung für das Wohl der Menschen dieser Stadt haben, so wie unsere Vorgänger damals diese wahrgenommen haben, um der Stadt eine friedliche Zukunft zu gewährleisten.

Von: Biermann, Martin (2005): Die letzten Kriegstage in Celle