Der Mythos Rommel lebt – zumindest in Klein-Hehlen

Einige Anmerkungen zur Frage, ob bzw. wie „braun“ denn Celle eigentlich nun ist

„Ich weiß nicht, wie es anderswo in der deutschen Provinz ist, ich kenne nur meine eigene – im tiefsten Niedersachsen, wo sich, einem hartnäckigen Gerücht zufolge, ekliger brauner Matsch organischen Ursprungs besonders lange hält. Richtig, ich rede von Nazi-Hirnen.“ So kommentierte die von uns geschätzte Susanne Fischer in ihrer „taz“-Kolumne den neuen Celler Straßen(namens)-Kampf. Nun ist es in der Tat frappant, wenn erwachsene Menschen aus Merkels CDU meinen, die Ehre von Kriegsverbrechern wie Erwin Rommel und Carl-Heinrich von Stülpnagel retten zu müssen. Um „die Kuh vom Eis“ zu kriegen, setzt man jetzt wieder auf eine Ethik-Kommission, d.h. verschwendet überflüssigerweise die Lebens- und Arbeitszeit anderer erwachsener Menschen.

Im September 2014 setzte Michael Ende von der Celleschen Zeitung die Umbenennung der Straßennamen nach den Nazi-Generälen Fritsch, Rommel und Stülpnagel auf die Tagesordnung. Nach Gesprächen zwischen Verwaltungsspitze und den Fraktionsvorsitzenden empfahl man den zuständigen Ortsräten, eine Umbenennung zu prüfen. Dagegen sprach sich nur die Fraktion „Die Unabhängigen“ aus. Während der Ortsrat Scheuen der Empfehlung folgte und die Fritschstraße in „Am Reiherberg“ umbenannte, stellten sich die Ortsratsmitglieder von CDU und Unabhängigen in Klein-Hehlen quer. Es handelte sich übrigens um: Klaus Didschies, Ursula Biermann, Siegfried Schulz (alle CDU) und Michael Többens (Die Unabhängigen).

Die Ortsratssitzung im März war ein deutsches Trauerspiel. Michael Ende kommentierte: „Fundierte Argumente wurden vom Tisch gewischt. Weder Rommels Aufrufe zu Kriegsverbrechen in Italien noch Stülpnagels Pogrom-Initiativen im Osten reíchten aus, um den im Falle des ambivalenten Rommels unbewiesenen Nimbus des Anti-Hitler-Verschwörers verblassen zu lassen. […] Wohlwollend formuliert sieht es so aus, als ob der Mythos Rommel noch immer lebt - auf jeden Fall in Klein Hehlen.“ (CZ, 20.03.2015)

Es schloss sich eine zweite Runde an, nachdem Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende verlauten ließ, dass ihn das Signal aus Klein Hehlen „entsetzt“ habe. Dies füge der Stadt „schweren Schaden“ zu, weil es das Vorurteil vom „braunen Celle“ befeuere. Dazu äußerten sich dann in den sozialen Netzwerken Dutzende von Menschen, deren PC-Tastatur anstelle eines Kommas ein zweites Ausrufungszeichen hat; will sagen: Sie brüllten ihre Empörung ohne Punkt und Komma in ihre eigene kleine Welt. Die Haupt-“Argumente“ bestanden darin, erstens zu fragen, ob die da oben nichts Wichtigeres zu tun haben, und zweitens Mende die Kompetenz abzusprechen, weil er ja nicht von hier komme. Beschränktheit rechtfertigt sich also dadurch, möglichst in Celle geboren zu sein – besser noch in der vierten Generation hier zu leben. Dazu kam noch der Klassiker, wonach man/frau das alles deshalb nicht beurteilen könne, weil man/frau ja nicht dabei war.

Zu diesen Fragen der Farbenlehre, mal ein paar Sätze – und (jawoll!) aus eigenem Erleben: In den 1970/1980er Jahren hatte Celle seinen „braunen Ruf“ zu Recht. Die CZ durfte wegen ihres Politikredakteurs Walther Zuzan „Heidestürmer“ genannt werden, an der Spitze der Kreisverwaltung stand mit Axel Bruns ein stolzer Ritterkreuzträger, die Geschäftsführung des DRK hatte mit Fritz Darges ein ehemaliger Adjutant des Führers, Oberstadtdirektor Ulrich von Witten erwarb gleich nach seiner Pensionierung das Parteibuch vom „Bund freier Bürger“, am KAV unterrichtete ein Holocaustleugner usw. Der rechtsextremistische „Stahlhelm – Bund der Frontkämpfer“ trug seine Bundestagung genausogern in Celle aus wie die „Deutsche Burschenschaft“. Aber: Das braune Eliten-Netzwerk wurde aus biologischen Gründen immer löchriger – und der Nachwuchs blieb weitgehend aus. Die CDU hat sich – wie überall – „modernisiert“; mit dem Ergebnis, dass sie am rechten Rand zwar Mitglieder und Wähler*innen verliert, aber auch „koalitions“- und handlungsfähiger wird.

Wer Celle heute einen „braunen Ruf“ andichtet, kann sich dabei nur auf die Vergangenheit beziehen. Sowohl auf der Ebene historischer Auseinandersetzung wie bei aktuellen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus ist die Stadtgesellschaft rühriger als anderswo in der „Provinz“. Dieses beachtenswerte zivilgesellschaftliche Engagement darf niemanden über Ungleichzeitigkeiten hinwegtäuschen. Ernst Bloch warnte vor 1933 vor dem Spießbürger, der sich „ungerecht behandelt fühlt und versucht, die Welt zu seinen Gunsten zu erneuern.“ Dem von ihm dabei beschriebenen „Schlupf- und Wetterwinkel irrationaler Art“ begegnet man/frau heute vor allem in den sozialen Netzwerken.

Gegen diese gruselige Geisterbahn des Ressentiments erscheint es zweckmäßig, in der „wirklichen Welt“ ein paar wirkmächtige Pflöcke zur Orientierung in den stadtgesellschaftlichen Boden zu rammen. Für eine Mehrheit wird es so vielleicht zu etwas Selbstverständlichem, Nazi-Verbrechen nicht aus Jux und Dollerei zu relativieren. Auch das ist Geschichtspolitik.

Geschichtspolitik überlagerte selbstverständlich auch schon die erinnerungskulturell gemeinte Benennung der Straßennamen im neuen Stadtteil Klein-Hehlen West in den 1960er Jahren. Wer Straßen nach „Persönlichkeiten“ benennt, verbindet damit einen Zweck: In der Regel soll damit ihr Leben als vorbildlich herausgestellt werden oder es soll ihrer gedacht werden, z.B. weil sie von den Nazis ermordet wurden.

Dass die Straßen im Stadtteil nach Widerstandskämpfern benannt wurden, war eher überraschend. Der städtische Verwaltungsausschuss hatte zunächst mit knapper Mehrheit empfohlen, die Straßen im neuen Stadtteil nach Dichtern zu benennen – benachbart im Osten liegt das „Musikerviertel“. Die SPD hatte in der Sitzung für eine Benennung nach Widerstandskämpfern geworben, war aber der CDU Mehrheit unterlegen. Zur Ratssitzung war die CDU-Fraktion dann umgeschwenkt und brachte den Antrag ein, die Straßen nach Leber, Leuschner, Mierendorf (sozialdemokratischer Widerstand), von Stauffenberg, Beck, von Witzleben, Goerdeler (20. Juli), Bonhoeffer (Widerstand ev. Christen), Stülpnagel sowie Rommel zu benennen. Die SPD wollte anstelle von Rommel und Stülpnagel die Namen Breitscheid und die Geschwister Scholl mit Straßenbenennungen gewürdigt wissen und erhielt dafür überraschend eine Mehrheit. Ein weiterführender SPD-Antrag, wonach für weitere Straßen die Namen Pater Delp, von Ossietzky, Anne Frank, Ullrich von Hassell und Haubach vorgemerkt werden sollten wurde abgelehnt.

Rommel und Stülpnagel waren also zunächst nicht mehr auf der Namensliste. Erst seit Ende der 1970er Jahre rommelt es in Klein-Hehlen. Die Stülpnagel-Straße kam etwa 1984/85, weitere Benennungen erfolgten zwischenzeitlich nach Reichwein (sozialdemokratischer Widerstand), York, Moltke und von Hassell.
Warum überhaupt Stülpnagel und Rommel? Ein großer Teil der männlichen Bevölkerung war in der Wehrmacht und ein Teil der Wehrmachtsoffiziere hatte die Bundeswehr mit aufgebaut. Diesen ging es darum, die Wehrmacht als sauberen Verein darzustellen (der er nicht war) – Rommel und Stülpnagel taugten hierfür seinerzeit, weil sie sich 1944 gegen Hitler gestellt hatten und dafür hingerichtet bzw. in den Freitod gedrängt wurden. Das heißt: Wir haben es mit Personen zu tun, bei denen es – wenn man so will – Licht und Schatten gegeben hat. Nun hat sich diese Gesellschaft aber (weitgehend) darauf verständigt, dass diese „Fälle“ kein Vorbild sein können bzw. sollen. (Beispiel: Nach seiner Haftstrafe ist nicht anzunehmen, dass es noch eine Uli Hoeness Straße gibt.)

In Deutschland gibt es eine ausgeprägte Erinnerungs- und Gedenkkultur. Das soll mit dazu beitragen, die Verbrechen des Nationalsozialismus „aufzuarbeiten“. Die Idee dahinter ist ziemlich einfach: Es geht darum, dass derartige Verbrechen hier nicht nochmal passieren. Da kann man gern drüber streiten, ob und wie das am Besten gelingen kann. Aber wahrscheinlich ist die Idee nicht grundsätzlich falsch. Das Ganze ist ein Prozess, das heißt, die Anschauungen dazu, was wichtig und richtig ist, ändern sich. So lässt sich heute halbwegs entspannt diskutieren, dass die Attentäter vom 20. Juli nie ein demokratisches Gesellschaftssystem errichten wollten und sich erst zum Attentat entschlossen, als die militärische Niederlage feststand. Das ist das eine. Das andere – und davon zu unterscheiden – ist, dass sich Rommel und Stülpnagel belegbar Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Eigentlich sollte eine Ethik-Kommission da nicht allzu viele Fragen haben, oder?

Aus: revista. linke zeitung für politik und kultur in celle, Nr. 75, Juni/Juli 2015, S. 19-20.