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Plakat einer Ausstellung des Reichnährstandes über "Rassenhygiene" mit der Aufschrift: "Hier trägst Du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50.000 RM." In: Volk und Rasse, Illustrierte Monatszeitschrift für deutsches Volkstum 10 (1936), S. 335.
Zwischen 1933 und 1945 wurden im Deutschen Reich Hunderttausende gegen ihren Willen sterilisiert. Juristische Grundlage war das im Juli 1933 erlassene "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Für die Anordnung der Zwangssterilisationen wurden im Deutschen Reich 205 sogenannte Erbgesundheitsgerichte eingerichtet, für die Beschwerdeverfahren entstanden 26 Obergerichte. Fast 5000 Fälle landeten vor dem Erbgesundheitsobergericht (EGOG) am Oberlandesgericht Celle, das zuständig war für Beschwerdeverfahren der Erbgesundheitsgerichte Aurich, Bückeburg, Detmold, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Stade und Verden.
Vor dem Hintergrund ihres rassistischen Menschenbildes ging es den Nazis darum, "Minderwertige" von der Fortpflanzung auszuschließen. Deutlich wird dies auch in der Praxis der Gerichte, die in Abkehr von den sowieso schon höchst fragwürdigen Krankheitsbegriffen die Sterilisation auch gegen soziale Außenseiter anwandten, insbesondere gegen Frauen mit unstetem Lebenswandel und Männer mit krimineller Vergangenheit.
Die Betroffenen waren praktisch rechtlos. Das Celler EGOG entschied an einem Beratungstag über durchschnittlich 40-50 Fälle. Ohne Anhörung der Betroffenen, zeitweise ohne den Anwälten Akten-einsicht zu gewähren, wurde im Schnellverfahren entschieden.
Das EGOG Celle sprach so insgesamt 3.595 Sterilisationsanordnungen aus. "Damit leistete es," so Sabine Kramer in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 1999, "seinen Beitrag zur nationalsozialistischen Auslese- und Ausmerzepolitik."
In Wiederaufnahmeverfahren nach 1945 oblag es den Zwangssterilisierten nachzuweisen, dass sie nicht "erbkrank" waren. Sie wurden zum Teil denselben Prozeduren ausgesetzt wie vor 1945, und manchmal trafen sie auch auf dieselben sie "beurteilenden" Personen. In nur einem Viertel der angestrengten Wiederaufnahmeverfahren bekamen die Betroffenen bescheinigt, ihre Sterilisation sei zu Unrecht erfolgt. Selbst das konnte keinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung begründen, erst seit 1980 konnten Betroffene aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung eine einmalige Beihilfe in Höhe von 5000 DM erhalten. Und erst 1998 stellte der Bundestag fest, dass die durchgeführten Zwangssterilisationen nationalsozialistisches Unrecht seien.
Von den fünf Celler Richtern hatte nur einer im Entnazifizierungsverfahren Probleme, aber auch er nicht wegen seiner Tätigkeit als "Erbgesundheitsrichter". Eingestuft als "Mitläufer" kehrte er im Mai 1949 in den Dienst am OLG zurück.