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- 8. APRIL 1945: MAHNMAL TRIFTANLAGE
Denkmal Triftanlagegemeinfrei
Am 8. April 1945 war Celle Ziel eines Luftangriffs. Güterbahnhof, Gaswerk und ganze Häuserreihen östlich der Bahn wurden zerstört. Viele Celler Bürger, Soldaten und Flüchtlinge fanden den Tod. Doch sie waren nicht die einzigen Opfer. Denn die Bomben trafen einen im Bahnhof stehenden Transport mit KZ-Häftlingen aus dem Außenlager Salzgitter-Drütte.
Bis zu 500 der 3420 in gut 50 Waggons zusammengepferchten Menschen überlebten den Angriff nicht. Die anderen versuchten zu fliehen, aber sie wurden von den Wachmannschaften verfolgt. Und nicht allein von ihnen: Männer aus der SA, dem Volkssturm und der Feuerwehr, aber auch andere Celler Zivilisten beteiligten sich an der Treibjagd auf die Häftlinge. Mindestens 170 wurden bei dieser Treibjagd getötet. Der größte Teil der wieder gefangengenommen Häftlingen wurden zu Fuß nach Belsen getrieben. Etwa 100-120 Häftlinge wurden auf dem Gelände einer Kaserne untergebracht, wo die Briten sie sie zwei Tage später befreiten. 13 Männer wurden 1947/48 von den Briten im "Celle Massacre Trial" angeklagt. Zwei wurden zum Tode verurteilt, fünf weitere zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Todesstrafen aber wurden außer Kraft gesetzt und der Letzte der Verurteilten konnte schon 1952 das Gefängnis verlassen.
Am Nachmittag des 8. April 1945 stand auf dem Celler Güterbahnhof ein Zug, bestehend aus 50 bis 55 offenen Güterwaggons, und wartete auf einen Lokomotivwechsel. In den Waggons befanden sich etwa 3420 Häftlinge aus den KZ-Außenlagern Drütte bei Salzgitter, Salzgitter-Bad und Holzen. Ziel des Transportes war das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Er war einer von vielen, die in dieser letzten Phase des Krieges das Lager im Landkreis Celle zum Ziel hatten und Teil des perfiden Planes der SS, keine KZ-Häftlinge in die Hände der Alliierten fallen zu lassen. Deshalb räumte die SS die Konzentrationslager und schickte die Häftlinge auf „Evakuierungstransporte“, von denen sich viele als Todesmärsche erwiesen.
Allein in diesen Tagen gingen mehrere Häftlingszüge durch Celle und Märsche von Gefangenen führten an Celle vorbei. Am 8. April aber erfolgte der einzige größere Bombenangriff auf Celle und das Ziel war der Güterbahnhof. Es war einer der Luftangriffe auf Verkehrsverbindungen, um militärische Nachschubwege zu unterbrechen. Den Bomben fielen 200 bis 500 Gefangene zum Opfer. Noch während des Bombardements wurden Häftlinge, die sich in Sicherheit zu bringen suchten, von der begleitenden SS beschossen. Einige Häftlinge, die entkommen konnten, liefen in Richtung der Altstadt, die meisten aber auf das Neustädter Holz zu, auch sie wurden von der Wachmannschaft unter Beschuss genommen. Andere wurden von ihren Bewachern zu Sammelplätzen am Neustädter Holz gebracht. Viele Überlebende berichteten, in den Stunden unmittelbar nach dem Bombenangriff von Volkssturmmännern und HJ-Angehörigen verfolgt worden zu sein. Es wurde aber auch berichtet, dass Celler Bürger Häftlingen halfen, doch hinderten SS-Männer, Celler Polizisten und Zivilisten sie teilweise daran.
Die Mehrzahl der Häftlinge, die fliehen konnten, sammelte sich an verschiedenen Stellen im Neustädter Holz, andere auf dem Fliegerhorst Wietzenbruch. Die Nacht wurde von den meisten Überlebenden als verhältnismäßig ruhig beschrieben. In dieser Nacht fand eine Besprechung in der Celler Kreisleitung statt, in der das weitere Vorgehen besprochen wurde. Beteiligt waren Vertreter von Wehrmacht, SS und Polizei sowie der Stadt und der Kreisleitung. Die offizielle Lesart war, dass Häftlinge plünderten und sich Waffen beschafft hätten. In der Folge fand am Morgen des 9. April eine Durchkämmaktion im Neustädter Holz unter Beteilung von Soldaten, Angehörigen einer in Lachendorf stationierten SS-Einheit und Polizisten statt. Die SS-Mannschaft, die den Zug begleitet hatte, war nicht beteiligt, sondern bewachte Häftlinge im Neustädter Holz. Die genannten Einheiten trieben Häftlinge zusammen, schossen auch auf sie. Gegen Mittag war die Aktion beendet. An die Durchkämmaktionen schlossen sich mehrere Massaker an. Eines dieser Massaker wurde von Celler Polizisten verübt, die den Befehl erhalten hatten, eine Gruppe von 30 bis 40 Häftlingen zu erschießen. Ein weiteres Massaker wurde von SS-Männern begangen. Es kam auch zu erneuten Hetzjagden auf flüchtende Häftlinge, in deren Verlauf weitere ermordet wurden, auch von Celler Zivilisten. Auch Volkssturmmänner sollen Häftlinge getötet haben. Das Morden rund um das Neustädter Holz war erst am Mittag des 9. April zu Ende. Den Massakern, Durchkämmaktionen und Hetzjagden fielen mindestens 170 KZ-Gefangene zum Opfer.
Über 2000 noch marschfähige Häftlinge machten sich unter SS-Bewachung zu Fuß auf den Weg nach Bergen-Belsen, dabei wurden auch unterwegs Gefangene erschossen. In Bergen-Belsen erwarteten die Häftlinge verheerende Zustände. Das Lager wurde am 15. April von britischen Truppen befreit.
Häftlinge, die nicht mehr laufen konnten, wurden in einen Pferdestall in der Heidekaserne gesperrt. Die 100 bis 120 Gefangenen blieben hier unversorgt unter Umständen, die als katastrophal beschrieben wurden, bis sie am 12. April von britischen Soldaten befreit wurden.
Bald begann die britische Militärpolizei mit Ermittlungen, in deren Verlauf zahlreiche Zeugen vernommen und eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen wurden. Im Anschluss kam es zu einem Prozess, dem „Celle Massacre Trial“, vor einem britischen Gericht. Die Verhandlungen begannen am 2. Dezember 1947. 14 Angeklagte standen vor Gericht, einer von ihnen wurde freigesprochen, die anderen Fälle, vier Celler Polizisten, die übrigen Zivilisten, wurden an ein höheres Gericht verwiesen, wo ab dem 8. April 1948 verhandelt wurde. Der Prozess endete am 14. Mai 1948. Das Ergebnis waren sechs Freisprüche, vier Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren und die Verurteilung zum Tode von zwei Zivilisten und einem Polizisten. Gegen die Todesurteile wurde Berufung eingelegt mit dem Ziel, sie in Haftstrafen umzuwandeln. Diese Verhandlung endete mit einem Freispruch und der Bestätigung der beiden anderen Urteile, die aber vom Militärgouverneur später in Haftstrafen von 20 bzw. 25 Jahren umgewandelt und 1951 auf zehn Jahre reduziert wurden. Keiner der Verurteilten musste die volle Haftzeit verbüßen, die letzte Entlassung erfolgte im Oktober 1952. Verantwortliche von Wehrmacht, SS, Stadt Celle oder auch Parteifunktionäre wurden nie belangt. Alle deutschen Ermittlungsverfahren kurz nach dem Krieg und in den folgenden Jahrzehnten wurden eingestellt, ein letztes solches Verfahren wurde 2006 aufgenommen.
Mit der 2008 erschienenen Studie „Celle April 1945 revisited. Ein amerikanischer Bombenangriff, deutsche Massaker an KZ-Häftlingen und ein britisches Gerichtsverfahren“ von Bernhard Strebel kann die Erforschung der Ereignisse in Celle am 8. April 1945 und den folgenden Tagen als abgeschlossen betrachtet werden. Strebel hat für seine detaillierte Studie umfangreiches, auch lange Zeit nicht zugängliches Material ausgewertet und das Geschehen selbst, den Prozess sowie die Beteiligten ausführlich beschrieben.
Auf dem Waldfriedhof, wo viele der Opfer der Bomben und der Menschenjagd bestattet wurden, erinnern drei Holzkreuze und ein Gedenkstein an die Toten. In den Triftanlagen wurde 1992 ein Mahnmal mit folgendem Text eingeweiht, wobei anzumerken ist, dass die genannten Zahlen dem damaligen, aber nicht dem heutigen Wissensstand entsprechen:
"Den KZ-Häftlingen aus ganz Europa, die vom 8. bis zum 12. April 1945 in Celle Opfer nationalsozialistischer Unmenschlichkeit wurden
Am 8. April 1945 – vier Tage vor der Besetzung durch alliierte Truppen war Celle das Ziel eines großangelegten Luftangriffs. Dabei wurde auf einem Rangiergleis des Güterbahnhofs ein Zug getroffen, der ungefähr 4000 Männer, Frauen und Jugendliche aus mehreren Außenlagern des KZ Neuengamme nach Bergen-Belsen bringen sollte. Als diejenigen Häftlinge, die den Bomben entgangen waren, sich in Sicherheit zu bringen suchten, machten Angehörige der NSDAP und ihrer Formationen, Wehrmacht, Polizei sowie des Volkssturms im Stadtgebiet und im nahegelegenen Neustädter Holz Jagd auf sie und richteten ein Blutbad unter ihnen an. Etwa 500 der Überlebenden wurden von der SS schließlich zu Fuß nach Bergen-Belsen getrieben."
Literatur: Bertram 1989, Bertram 2006, Neumann 2005, Strebel 2010, Wegener 2020, Rohde 2020, Hallo Niedersachsen 2020.