Straßennamen und Nationalsozialismus

Kulturkampf um Helmuth-Hörstmann-Weg?

Es war eine Illusion zu meinen, die Diskussion um die Umbenennung von Straßennamen könne emotionslos geführt werden. Für das konservative Milieu ist es nicht nur schmerzhaft, die eigene Geschichte hinterfragt zu sehen. Dieses Milieu erlebt es als Angriff auf seine Integrität, jene Persönlichkeiten, die die Nachkriegsgeschichte der Stadt prägten, eine nach der anderen über die Verstrickung in den Nationalsozialismus von ihren Sockeln purzeln zu sehen. Erst die Oberbürgermeister Ernst Meyer, dann Kurt Blanke – und jetzt noch Helmuth Hörstmann? Selbstverständlich spitzte sich die Auseinandersetzung auf ihn zu. Auf der einen Seite, weil es sich bei dem nach ihm benannten Weg um die Ratshausadresse handelt, zum anderen aber auch weil mit Udo Hörstmann sein Sohn bis vor kurzem eine kommunalpolitische Größe war. Im Februar soll über die Rathausadresse entschieden werden. Das Ergebnis der Abstimmung ist aktuell kaum vorhersehbar.

Auf Basis des Gutachtens von Bernhard Strebel (»Es ist nicht ganz einerlei, wie die Straße heißt, in der man wohnt«. Straßennamen in Celle und personelle Verbindungen mit dem Nationalsozialismus) hatte die vom Oberbürgermeister eingesetzte Bewertungskommission im Oktober eine Umbenennung des Helmuth-Hörstmann-Weges, des Hanna-Fuess-Weges und der Agnes-Miegel-Straße befürwortet. Weder die Freunde des Löns-Kultes, die um den Fuess-Weg trauern, noch die lokal organisierten Flüchtlinge und Vertriebenen, deren Herz an Miegel hängt, sind gesellschaftlich noch relevant. Anders sieht es mit dem CDU-Politiker Hörstmann aus. Er steht für die „goldenen Jahre“ der Partei in dieser Stadt; mit ihm hatte sie zwischen 1973 und 1986 absolute Ratsmehrheiten. Er personifizierte die mit ihm auslaufende Epoche, als sich die CDU als Partei von Heimat, christlicher Sitte und Besitz gerierte – gepaart mit Nationalismus und Militarismus. Der danach einsetzende Modernisierungsprozess ist bei den Celler Christdemokraten nach wie vor weder abgeschlossen, noch gelungen. Auch deshalb ist die Entscheidung über Hörstmann eine Richtungsentscheidung über ihre Zukunftsfähigkeit.

Teile des alten konservativen Milieus versuchten sich schnell daran, Strebels Untersuchungsergebnisse zu hinterfragen. Neben dem ehemaligen Oberstadtdirektor Ulrich von Witten machte vor allem der Jurist Peter Weise, ehedem Kanzleipartner von Kurt Blanke, mit einer 26-seitigen „Stellungnahme“ viel Wind. Diese Ausarbeitung, die vom Internetportal „CelleHeute“ veröffentlicht wurde, veranlasste Oberbürgermeister Mende zu einem weiteren Auftrag an Strebel, der in dem so genannten Nachgutachten mündete. Und diese merkwürdige „Stellungnahme“ trug dann einiges dazu bei, dass es bei der am 7. Dezember angesetzten Anhörung von Strebel und Mitgliedern der Bewertungskommission praktisch ausschließlich um Hörstmann ging.

Wie sah die Verteidigungslinie aus? Es waren vor allem vier Aspekte, die von konservativer Seite in die Diskussion eingeführt wurden:

War nicht bei der Straßenbenennung alles über Hörstmanns NS-Vergangenheit bekannt?
Hat ihn nicht die Entnazifizierungskommission in den späten 1940er Jahren entlastet?
Warum glaubt man seinen Angaben, Juden geholfen zu haben, nicht?
Wiegt nicht seine Lebensleistung für die westdeutsche Demokratie seine SS-Vergangenheit auf?

Mit einigem Recht wird gefragt, welche neuen Erkenntnisse eigentlich die erst vor gut 10 Jahren getroffene Entscheidung zur Straßenbenennung nun in Frage stellen? Dabei wird behauptet, die SS-Mitgliedschaft Hörstmanns sei doch allseits bekannt gewesen. – Es ist ihnen zu glauben, dass im eigenen Milieu jedermann um seine schwarze Uniformfarbe wusste. Niemals jedoch hat er sich öffentlich dazu bekannt. Im Gegenteil: Er hatte es verstanden, einen Raum der Tabuisierung zu schaffen. In Möllers Celle-Lexikon aus dem Jahr 1987 fehlt zum Beispiel in Hörstmanns Biografie der Hinweis auf die SS. Im Stadtbuch aus dem Jahr 2003 taucht er zwar auf, aber als die RWLE Möller Stiftung 2005 die erste Ausgabe der Celler Hefte herausbrachte, ließ sie diesen Hinweis über die Einsicht in seine Entnazifizierungsakte absichernd recherchieren (das erste Mal übrigens, dass die Akte eingesehen wurde).

Das entschuldigt im übrigen nicht die geschichtsvergessene Entscheidung des Stadtrates im Jahr 1999, widerlegt aber die Behauptung, Hörstmanns NS-Vergangenheit sei allseits bekannt gewesen.

Und es gibt einige zusätzliche von Strebel herausgearbeitete Aspekte in Hörstmanns Biografie, die die Öffentlichkeit bisher nicht kannte: Ohne jeden Druck trat er schon im Jahr 1933 der allgemeinen SS bei, wo er es zum Rang eines Obersturmführers brachte. Sofort nach der Lockerung der Mitgliedersperre im Frühjahr 1937 wurde im Mai „Parteigenosse“. 1938 nahm er am Reichsparteitag in Nürnberg teil, und er schloss sich dem NS-Ärztebund an. Nach einer „rein nominellen“ SS-Mitgliedschaft sieht das in der Bewertung von Strebel nicht aus: „Vielmehr spricht das Bild [...] für ein erhebliches Maß an Überzeugung und Begeisterung für den Nationalsozialismus, zumindest aber für das engagierte Bestreben, einen dahingehenden Eindruck zu erwecken.“

Wer sich die Entnazifizierungsakte Hörstmanns im Hauptstaatsarchiv anschaut, gewinnt den Eindruck, dass es einen besseren Menschen kaum geben kann. Knapp drei Dutzend Leumundzeugnisse sollen ihn »entlasten« - eine Einstufung, zu der er es in einem langwierigen, mehrere Berufungen erfordernden Verfahren am Ende auch brachte. Im Juli 1947 aber war er noch in Kategorie III (eifriger Nazi-Unterstützer) eingruppiert worden, was mit erheblichen finanziellen (Vermögenssperre) und beruflichen Einschränkungen verbunden gewesen wäre. Trotz dieses also keineswegs gradlinigen Entnazifizierungsverlaufs, beharren Weise, aber auch Udo Hörstmanns Ratskollege Haack auf dem unterm Strich erfolgreichen Ausgang. – Strebel machte dagegen in der Anhörung deutlich, dass der Bergriff „Persilschein“ für die allermeisten der angeführten Entlastungszeugnisse zu gelten habe, weil die Leumundzeugen im Grunde genommen nur Vorgaben Hörstmanns (wie die Legende vom erzwungenen SS-Eintritt) bestätigen.

Was Hörstmann heute vor allem vorgehalten wird, sind seine „manipulativen Versuche“ (Michael Fürst), sich im Jahr 1985 von ehemaligen jüdischen Bürgern der Stadt eine Geschichte bestätigen zu lassen, wonach er 1938 Hans Salomon und Viktor Roberg nach ihrer Entlassung aus dem KZ geholfen habe. Obwohl diese Darstellung schon vor 25 Jahren für Entrüstung bei den Angefragten geführt hatte und es keinen einzigen Beleg für Hörstmanns Darstellung gibt, versuchte Peter Weise es mit einem juristischen „in dubio pro reo“. Und machte sich dabei nebenbei einigermaßen lächerlich. Hörstmann habe, so Weise, die Einzelheiten wie folgt dargestellt: „Während meiner Dienstzeit im Städtischen Krankenhaus Berlin-Wilmersdorf habe ich zwei Celler Juden, Hans Salomon und Viktor Roberg, die ich in SS-Uniform mit ihrem Judenstern in der Salzburger Straße in Berlin traf (sie waren aus Oranienburg entlassen) zu mir ins Krankenhaus genommen, ihnen den Judenstern entfernt, sie nach meinen Kräften finanziell unterstützt und mit einem SS-Wagen aus dem Sperrgebiet Berlin hinausbringen lassen.“ – Strebel antwortete in seinem Nachgutachten scharf: „Jeder an Zeitgeschichte Interessierte fragt sich jedoch: Warum trugen Hans Salomon und Victor Roberg im Dezember 1938 einen Judenstern? Ihre Häftlingskleidung mit dem aufgenähten rot/gelben Davidstern hatten sie bei ihrer KZ-Entlassung abgeben »müssen«. Bis zur Kennzeichnungspflicht mit dem »Judenstern« ab September 1941 sollten noch fast drei Jahre vergehen. Außerdem: Warum ist in der Fachliteratur über ein »Sperrgebiet Berlin« überhaupt nichts bekannt?“ Und er fragt: „Warum aber warf Hörstmann dies bei seiner Entnazifizierung nicht in die Waagschale, um seiner zwölfjährigen SS-Mitgliedschaft ein wenig das Gewicht zu nehmen?“

In der Anhörung stand seitens einiger CDU-Ratsmitglieder noch die Frage im Raum, ob nicht die Nachkriegsleistungen eine weitere Würdigung zuließen? Hier war sich die Bewertungskommission allerdings einig, dass es nicht um die Beurteilung einer Biografie gehe, sondern um die Wertung, ob die Person als „Vorbild“ herausgestellt werden könne, ob ein „in die Zukunft wirkendes Gedenken“ gerechtfertigt sei? Und dies wurde für Hörstmann unstrittig verneint.

Schließlich stellten sich Haack und Hörstmann Junior in der Anhörung noch selbst ein Bein. Sie führten erneut ins Feld, dass Hörstmanns Frau 1939 kurzzeitig die Aufnahme in die Reichstheaterkammer versagt worden war. Dies mache doch eine Distanz auch des Arztes zum NS-Regime wahrscheinlich. Der Bescheid des Präsidenten der Reichstheaterkammer vom 22.08.1939 war versehen mit einer handschriftlichen Randbemerkung von Ilsetraud Hörstmann: „Ist meine Schauspielkarriere durch Hitler beendet? Ich werde kämpfen!!!“ Dieser Vermerk muss allerdings, darauf machte Strebel aufmerksam, aufgebracht worden sein, als die Schauspielerin noch weit davon entfernt war, eine Frau Hörstmann zu werden (erst 1942). Und auch ihr späterer Mann hatte im Herbst 1939 eine ganz andere Beziehung, der u.a. ein unehelicher Sohn entsprungen war.

Die vom Rat anberaumte Informationsveranstaltung erwies sich als ziemliches Desaster für die Verteidiger Hörstmanns. Ihr Geschichtsbild konnte bei den Mitgliedern der Bewertungskommission keine Resonanz finden. Hans-Ulrich Thamer (Uni Münster), Michael Fürst (Vors. des LV der Jüdischen Gemeinden Niedersachsens), Jörn Ipsen (Präsident des nds. Staatsgerichtshofes) und Thomas Scharf-Wrede (Dirketor des Bistumsarchivs Hildesheim) machten übereinstimmend deutlich, worum es ihnen geht – und aus ihrer Sicht auch dem Rat gehen sollte: Zu bewerten, ob die Straßennamensgeber_innen eine in die Zukunft wirkende Erinnerung rechtfertigen. Und für Hörstmann bestand bei ihnen kein Zweifel am „Nein“.

Im Unterschied zu den Vertretern von SPD, Bündnisgrünen und Linken ließ Oberbürgermeister Mende während der Anhörung durchaus ein gewisses Maß an Engagement erkennen. Dass sich in der ganzen Veranstaltung keine einzige Frau äußerte, sollte zumindest angemerkt werden.

Die Abstimmung über den Helmuth-Hörstmann-Weg, den Hanna-Fuess-Weg und die Agnes Miegel-Straße soll am 10. Februar über die Bühne gehen. Leider hat die Zuspitzung auf den ehemaligen OB dazu geführt, dass Verbrecher wie Stülpnagel, von Fritsch und Rommel weiterhin Celler Straßennamensschilder schmücken. – Allerdings: Die SPD hatte im November angekündigt, auch diese Namen auf den Prüfstand stellen zu wollen.

Aus: revista. linke zeitung für politik und kultur in celle, Nr. 52, Jan./Febr. 2011, S. 27-28.

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