Missionsanstalt Hermannburg im Nationalsozialismus / Das schwarze Herz Hannovers?

„Das schwarze Herz Hannovers“ – so sah sich die Missionsanstalt Hermannsburg und prägt(e) mit ihrem institutionellen Gewicht und Personal einen Teil des Landkreises Celle. Wer in dem Heideort aufgewachsen ist oder dort heute lebt, wird dies bestätigen können. Deshalb ist Gunther Schendels Anfang des Jahres publizierte Dissertation „Die Missionsanstalt Hermannsburg und der Nationalsozialismus“ über den engen Rahmen einer institutionengeschichtlichen Perspektive hinaus interessant.

Die Hermannsburger Missionsanstalt war vor 1933 eine der größten Missionsgesellschaften Deutschlands. 1849 von Louis Harms aus dem Geist der Erweckungsbewegung gegründet, wurde von der Zentrale in der Lüneburger Heide aus in Südafrika und Äthiopien missioniert. Daneben gab es eine intensive, so genannte „Heimatarbeit“, die der Mission und ihrem Umfeld den Ruf als „schwarzes Herz Hannovers“ eintrug, was aber durchaus gut mit dem Selbstbild der Einrichtung korrespondierte. Und zu diesem Selbstbild gehörte auch, dass die Institution und ihr Umfeld dem Nationalsozialismus eher distanziert gegenüber gestanden habe. Der Theologe und Religionshistoriker Gunther Schendel hat jetzt eine Untersuchung vorgelegt, die dieses Bild grundlegend revidiert.

Wie der größte Teil des konservativen Milieus verband auch die Missionsanstalt mit der als Sieg der nationalen Bewegung wahrgenommene Regierungsübernahme durch die NSDAP Hoffnungen, die sich durch ein „markantes Zeichen der Zustimmung“ äußerte - nämlich die Teilnahme am auch in Hermannburg veranstalteten Fackelzug zum „Tag von Potsdam“, also jener Inszenierung zur Eröffnung des neu gewählten Reichstages am 21.3.1933, wo Hitler sich symbolhaft vor Reichspräsident Hindenburg, dem zentralen Repräsentanten des konservativen Milieus verbeugte. – Aber es gab eben auch auf etlichen Politikfeldern große Übereinstimmungen: Die von der NSDAP formulierte Volksgemeinschaftsideologie entsprach den eigenen Vorstellungen von einer möglichst konfliktfreien Gesellschaft. Und solange die außenpolitischen Eckpunkte die Revision von Versailles ins Zentrum stellten und so vom konservativen Milieu als Wiederholung der Frontstellung des Ersten Weltkrieges wahrgenommen wurden, fanden sie ungebrochene Zustimmung.

Interessanterweise war trotzdem keiner der drei während der Jahre 1933 – 1945 amtierenden Missionsdirektoren Mitglied der NSDAP, auch von den 25 Mitgliedern des Missionsausschusses war lediglich einer, der Leiter der staatlichen Hermannsburger Volksschule, Parteimitglied. Für das Kollegium des Missionsseminars und der Christanschule konnte Schendel fünf NSDAP-Mitgliedschaften belegen, und damit ein dem Reichsdurchschnitt unter der Lehrerschaft vergleichbares Bild.
Bei der Untersuchung der weltanschaulichen Positionen der Missionsanstalt widmet sich der Autor zwei Komplexen: zum einen die Auseinandersetzung mit dem Neuheidentum, das durch den NS Auftrieb bekam; zum anderen dem staatlichen Antisemitismus. Schendel arbeitet dabei die Übereinstimmungen und Differenzen des Rassenkonzepts der Missionsanstalt zu dem nationalsozialistischen Rassismus heraus. Dabei zeigt sich, dass der christliche Universalismus kaum Schutz vor einem Denken in Kategorien der Ungleichheit bot. Die Nähe zu Volkstum, Blut und Boden mit dem Rassenbegriff im Zentrum schaffte eine hohe Übereinstimmung mit der NS-Ideologie, wobei Schendel als Schnittpunkte markiert: „die Ablehnung von Rassenmischung, das Eintragen von Werturteilen in das Verhältnis der Rassen, die Billigung von politischer Ungleichheit.“ (352) Auf der anderen Seite war es nicht der Rassenantisemitismus der Nazis, sondern ein traditioneller Antijudaismus, der die Position der Missionsanstalt zur NS-Judenpolitik fundierte. Die damit einhergehende Billigung der antisemitischen Maßnahmen fand nach Auffassung Schendels im Novemberpogrom zwar eine Zäsur: „Offensichtlich wurde hier eine Überschreitung der Grenzen wahrgenommen, die durch das eigene christlich-konservative Wertesystem gesetzt waren.“ (743) Kritik an der antisemitischen Verfolgung war von der Missionsanstalt offiziell aber nie zu hören; und selbst eine Unterstützung von durch den Arierparagrafen diskriminierten Kirchenangehörigen unterblieb bis auf eine Ausnahme.

Institutionell und kirchenpolitisch gerieten Missionsanstalt und das NS-Regime in einigen Punkten allerdings in Widerspruch. Schendel analysiert exemplarisch den Austritt von Missionsdirektor Schomerus aus dem hannoverschen Landeskirchentag im August 1933, die Widerstände in der Frage der Gleichschaltung der Missionsgesellschaften sowie das Verbot des traditionellen Missionsfestes 1939 oder die Umwandlung der Christian-Schule in eine staatliche Einrichtung. Der Verfasser zeigt hier differenziert das Verhalten der einzelnen Akteure, wobei deutlich wird, dass das „Interesse am Erhalt von Institution und Verkündigung eine wenigstens partielle Zustimmung zum Nationalsozialismus nicht aus, sondern gerade ein[schloss].“ (630)

Abgerundet wird die Arbeit durch eine intensive Betrachtung der direkten Nachkriegsphase und mit der Fragestellung, wie man in den Reihen der Missionsanstalt nachträglich das eigene Verhalten bewertete. Eine konkrete Aufarbeitung unterblieb, wie Schendel an verschiedenen Konfliktfeldern analysiert.

Zusammenfassend kommt der Autor zu einem ernüchternden Urteil: „Diese lutherische Missionsgesellschaft [...] begrenzte mit ihrer christlichen Frömmigkeit den Totalitätsanspruch der NS-Ideologie. Aber sie partizipierte auch an den politischen Illusionen und Irrtümern des konservativen Milieus; und ihre Theologie und Frömmigkeit erwiesen sich nicht als geeignet, um über die Verteidigung der eigenen Institution und Wirkungsmöglichkeiten hinaus zu einer weiterreichenden Opposition zu animieren. Davon, dass die Missionsanstalt für die NS-Ideologie „resistent" gewesen sei und sich in ihrem Fall „lutherisches Beharrungsvermögen (perseverantia)" bewährt habe, kann also nur in sehr begrenztem Maße gesprochen werden.“ (750 f.)

Schendel, Gunther: Die Missionsanstalt Hermannsburg und der Nationalsozialismus. Der Weg einer lutherischen Milieuinstitution zwischen Weimarer Republik und Nachkriegszeit. Münster 2009. 808 S., ISBN 978-3-8258-0627-9, 49.90 EUR. [den Band gibt es auch in der Stadtbibliothek: Cel 870 Her]

Aus: revista. linke zeitung für politik und kultur in celle, Nr. 44, Juli/August 2009, S. 19-20.

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