Universität Hannover
Historisches Seminar
Schneiderberg 50
Dozenten: Obenaus
Sommer Seminar: Der Widerstand der KPD gegen den Nationalsozialismus mit besonderer Berücksichtigung der Stadt Hannover
WS 86/87
Thema:
Referenten: Michael Prietz Volker Euskirchen

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
2 Organisation und Strukturen
2.1 Allgemeines - Mitgliederzahlen - Verbreitungsgebiete
2.2 Unterorganisationen und Publikationen
3 Strategien und Arbeitsformen
3.1 Vorbereitung auf die Illegalität
3.2 Einheitsfront
3.2.1 Exkurs zur Bevölkerungsschichtung in Celle
3.2.2 Verhältnis von KPD und SPD zueinander
3.3 Zum allgemeinen Verhalten in der Illegalität
3.4 Verbindung zu anderen Widerstandsgruppen
4 Illegale Aktionen der KPD in Celle
4.1 Der Sender
4.2 Das Rote Sprachrohr
4.3 Waffen
4.4 Die Funktion von G.S. im Celler Widerstand KPD
5 Schlußbetrachtung.

Anlagen: - Literaturliste - Namensliste
Beitrag zum Schülerwettbewerb

2 Einleitung

Bei der Suche nach Informationen über den KPD-Widerstand in Celle sind wir auf drei Quellen gestoßen, die einigermaßen detailliert Auskunft über die Aktivitäten der KPD in Celle geben. Im Juni 1985 gab der Kreisvorstand Celle der Deutschen Kommunistischen Partei eine Denkschrift über den langjährigen Vorsitzenden und Mitbegründer der KPD in Celle, OTTO ELSNER heraus.Den Herausgebern war es nach eigenem Bekunden ein Bedürfnis zum 40. Jahrestag der Zerschlagung des Faschismus einen Beitrag zur Geschichte der Stadt Celle zu geben. (1)
Otto Elsner war bis 1933 für die KPD Mitglied im Rat der Stadt Celle. Zugleich war er Vorsitzender des KPD Kreisverbandes Celle. Er wurde von den Nationalsozialisten mehrmals verhaftet, so von 34 - 39, und in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert. (2)
in dieser Biographie des Otto Elsner nimmt die Zeit des Nationalsozialismus und des Widerstandes naturgemäß einen großen Raum ein. Schließlich stellte die Zeit des nationalsozialistischen Regimes einen gewichtigen Einschnitt in der Geschichte der KPD und der persönlichen Verhältnisse von Otto.Elsner dar. Als zweite Quelle beziehen wir uns auf ein Interview, daß Celler Schüler 1981 mit dem ehemaligen Kommunisten Paul S. gemacht haben. Dieses Interview ist wichtigste Grundlage für einen Beitrag zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte 'Alltag im Nationalsozialismus vom Ende der Weimarer Republik bis zum zweiten Weltkrieg'.(3)
Paul S. war uns bekannt. Durch viele Gespräche waren wir bereits über seine Erlebnisse in der NS-Zeit informiert. Diese Gespräche hatten allerdings immer informellen Charakter. Da Paul vor wenigen Jahren verstorben ist, konnten wir leider kein eigenes Interview mehr führen und beziehen uns folglich auf die oben genanntente Arbeit. Nach unserer Einschätzung zeichnete sich Paul dadurch aus, daß er auch früher schon bereitwillig und gerne von seiner Zeit im KPD Widerstand berichtete. Wir können nur vermuten, daß das daran Iiegt, daß Paul S. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland aus der KPD ausgetreten und in die SPD eingetreten ist. Nachdem wir nun die Dokumentation über Otto Elsner und das Interview mit Paul S. gesichtet hatten, machten wir einen Gesprächstermin mit G.S. ab. G.S. wurde 1913 geboren, war zunächst Mitglied der KPD und ist später dann in die DKP eingetreten. G.S. ist heute sehr aktiv in der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes). Wir gaben ihr dann einen Fragenkatalog und baten um die Erlaubnis das Gespräch zwecks Arbeitserleichterung aufzeichnen zu dürfen. Die Ergebnisse dieses Interviews waren für uns sehr zufriedenstellend, so daß wir auf ein weitees Interview verzichten konnten. EinigeTage nach diesem Gespräch trafen wir uns dann um das Referat abschließend inhaltlich zu strukturieren. Dabei einigten wir uns dann auch auf eine inhaltliche Aufteilung. Die Kapitel 1 und 4 sind von Volker Euskirchen verfaßt. Für die Kapitel 2 und 3 zeichnet sich Michael Prietz als verantwortlich. Die Schlußbetrachtung wurde von uns gemeinsam verfaßt. Eine Überprüfung konnte von uns nur insofern vorgenommen werden, als daß wir die drei Aussagen zu den verschiedenen Fragestellungen miteinander verglichen haben und gegebenenfalls auf Differenzen hinweisen. Die Zielsetzung unserer Arbeit war, die verschiedenen Aktivitäten im Widerstand der CelIer KP gegen die Nationalsozialisten in seiner Bandbreite aufzuzeigen. Noch detailliertere Angaben wären nur möglich gewesen, wenn wir schon von Anfang an all die Namen von heute noch Iebenden Widerstandskämpfern gewußt hätten, die wir bei Sichtung des Materials und bei der Durchführung des Interviews erfahren haben. Eine abschließende Bemerkung noch zu den Namen von im Widerstand aktiven Kommunisten. In den Gesprächen mit ehemaligen Widerstandskämpfern fallen nur selten Namen von Mitstreitern. Es wird zum einen sicher daran liegen, daß viele / [3] Namen in der langen Zeit vergessen wurden. Dann sprach man damals wohl auch aus Sicherheitsgründen heraus sich nur selten mit Namen an. Fremde Genossen wurden nicht nach ihren Namen gefragt. Dennoch erscheint uns dies als Erklärung dafür nicht ausreichend, daß nur selten Namen zu erfahren waren.
Wir sind in das Interview mit G.S. mit einer Liste von damals aktiven Kommunisten gegangen und konnten dadurch bei verschiedenen Aktionsbeispielen auch Namen damit in Zusammenhang bringen.

2 Organisation und Strukturen

2.1 Allgemeines - Mitgliederzahlen – Verbreitungsgebiet

Im März 1919 wurde auch in Celle aus ehemaligen SPD und USPD Mitgliedern die KPD gegründet. (5) Die offizielle Geschichtsschreibung der Stadt sagt nichts darüber aus, wie stark diese Partei war, und welches Gewicht sie in der Kommunalpolitik hatte. Ähnliches trifft aber auch für die SPD zu. Es gab jedoch mindestens zwei Ratsherren der KPD im Rat der Stadt und zwar von 1919 bis 1933.
Mit der Auflösung der USPD im Jahr 1921 gewinnt die KPD auch in Celle mehr an Bedeutung, da viele ehemalige USPD-Mitglieder sich der KPD anschließen.
Die KPD dürfte um 1933 etwa zwischen 350-600 Mitglieder gehabt haben. Es lagen uns zwei unterschiedliche Angaben hierzu vor. Einmal handelte es sich um die Aussage von Paul S. (7) Die andere Zahlenangabe stammt aus dem Interview mit G.S. Die wirkliche Zahl der Mitglieder dürfte auf jeden Fall dazwischen liegen. / [4] da in einem der Verbreitungsgebiete der KPD in der Stadt schon bei Wahlen zwischen 1930-33 die KPD hier etwa immer bei 700 Stimmen liegt. (8) Nun kann man zwar nicht von abgegebenen Stimmen bei einer Wahl gleich auf Mitgliederzahlen schließen, jedoch wenn man bedenkt, daß es sich hier nur um einen Wahlbereich handelt, und daß die Organisationsbereitschaft der Arbeiter zu dieser Zeit sehr hoch war, kann man davon ausgehen, daß die KPD mehr als 350 Mitglieder gehabt haben muß: Vielleicht meinte Paul S. auch mit den 350 Mitgliedern nur die Jugendlichen im KJVD. Dies würde dann auch die Zahl der 877 Mitglieder für 1930 erklären, die in dem Buch 'Otto Elsner' auf Seite 63 offiziell von den Verfassern genannt werden. (9)
Es gab zwei Stadtteile, in denen die Kommunisten hauptsächlich wohnten. Einmal war das die Blumlage/Masch - das andere Wohngebiet lag in der Neustadt/Heese. Die meisten Mitglieder wohnten in der Masch, weshalb die Nationalsozialisten auch des öfteren gerade hier versuchten Propaganda zu treiben. Vor 1933 gelang ihnen dies jedoch nicht. In diesen beiden Stadtteilen wohnten auch vornehmlich Sozialdemokraten und deren Anhänger. Natürlich wohnten auch in den anderen Stadtteilen Mitglieder und Anhänger der beiden Arbeiterparteien, jedoch war die Konzentration in diesen beiden Stadtteilen am stärksten. / [5]
In diesen beiden Stadtteilen lagen auch die Lokale, in denen die KPD hauptsächlich ihre Versammlungen und Veranstaltungen durchführte. In der Blumlage hieß das 'Zum Schwarzen Bären' und in der Neustadt lag der 'Schützenhof'. Außerdem hatte die Freie Turnerschaft ihr selbstfinanziertes und in Eigenarbeit errichtetes Vereinshaus in der Neustadt. (10) Die KPD in Celle hatte keine eigene Sportabteilung, die Mitglieder schlossen sich der Freien Turnerschaft an.
Zur sozialen Zusammensetzung der KPD in Celle läßt sich feststellen, daß die meisten Arbeiter waren, deren Schulbildung sehr niedrig war. Es gab viele die gar keinen Schulabschluß hatten und auch welche, die nicht schreiben und lesen konnten. (11)

2.2 Unterorganisationen und Publikationen

Außer der KPD gab es verschiedene der KPD direkt angehörige oder ihr zumindest ideologisch nahestehende Organisationen. Sie sollen im folgenden kurz genannt und beschrieben werden.

- RFB (Rotfrontkämpferbund)
Im Mai 1924 hatte die Zentrale der KPD beschlossen, zunächst nur in den Bezirken Halle/Magdeburg und Groß Thüringen, einen Rotfrontkämpferbund zu gründen. Im Juli 1924 wurde der Aufruf veröffentlicht. Seine Aufgabe bestand darin, Versammlungen und Veranstaltungen der Arbeiterorganisation zu schützen. Der Gründung des RFB's waren jedoch schon andere Selbstschutzorganisationen voraus gegangen. Schon 1923 hatte es proletarische Hundertschaften gegeben. Die NAZ (Niedersächsische Arbeiterzeitung) berichtete im Juni 1923 von in den Allerniederungen übenden Selbstschutzorganisationen der Arbeiterschaft. (12) Der RFB hatte in Celle, wie überall im Deutschen Reich heftige / [6] Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten. Dies geht sowohl aus Paul S. Darstellungen sowie dem Interview mit G.S. hervor.

- KJVD
Der KJVD (Kommunistischer Jugend Verband Deutschlands) war die Jugendorganisation der KPD. Hauptsächlich betrieb er die politische Schulungsarbeit der Jugendlichen, diente aber auch als Kommunikationsraum und Freizeitangebot unter Gleichaltrigen.
In Celle tagten die Mitglieder des KJVD meist im 'Neustädter Schützenhof'. Hier wurden politische Schulungen, Liederabende; gesellige Treffs und ähnliches durchgeführt. Paul S. war, nach eigenen Angaben in der Zeit von 1931 bis zum Verbot der KPD 1933 politischer Leiter des KJVD Celle. (13) Die Arbeit des KJVD erstreckte sich jedoch nicht nur auf örtliche Belange, sondern auch auf Bezirks- und Reichsebene. Hier wurden vor allen Dingen die verschiedenen Jugendtreffen wahrgenommen. G.S. berichtete davon, daß sie an fast allen Treffen in Braunschweig und Hannover teilgenommen hatte. Zu einem Reichstreffen in Leipzig konnte sie aus persönlichen Gründen nicht mitfahren; was sie sehr bedauerte. Nach ihren Aussagen wurde der Widerstand in Gelle zu einem nicht unerheblichen Teil gerade von jungen Genossen getragen.

Arbeiter Radio Bund
Es gab auch in Celle einige KPD-Mitglieder, die sich mit dem Bau von Radios und Sendern befaßten. Es gab zu dieser Zeit noch nicht genug billige Radios, daher waren die Arbeiter auf Selbsthilfe angewiesen, um sich ein erschwingliches Radio durch Eigenbau zu besorgen.
1931 gewinnt der Arbeiter Radio Bund, obwohl gering an Mitgliedern, für Celle eine wichtige Bedeutung. Aus seinen Reihen kommt der Vorschlag, für Celle einen illegalen Radiosender zu bauen. (14) Dieses Vorhaben wird auch in die Tat umgesetzt, über die Arbeit des Senders an anderer Stelle mehr. / [7]

- Rote Hilfe
Die Rote Hilfe war die Hilfsorganistion der KPD für in Not geratene Genossen und deren Familienangehörige. Beide Zeitzeugen waren für die Rote Hilfe tätig gewesen. Paul S. hatte z.B. an einer Großküche für Arbeitslose mitgewirkt. (15) G.S. berichtete uns, daß sie selber Spenden gesammelt hat. Diese Arbeit war nach der sogenannten 'Machtergreifung' nicht ungefährlich. Sie hat auch selber Zuwendungen bekommen, denn sie mußte von ihrem Lohn als erstes eine Hypothek auf das von ihrem Vater erbaute Haus abzahlen. Somit reichte ihr Verdienst kaum aus für sich und für die jüngere Schwester zu sorgen.

- Arbeiterfahrradbund
Die meisten Wege wurden zu Fuß zurückgelegt. Wer es sich jedoch irgendwie leisten konnte, der schaffte sich ein Fahrrad an. Damit wurde man mobiler, und das war wichtig in der Zeit der großen Arbeitslosigkeit. Da die meisten Arbeiterfamilien mindestens ein Fahrrad besaßen, Iag es also nah, sich auf dieser Ebene zu organisieren. Es wurden Radtouren organisiert, seine Mitglieder halfen sich bei Reparaturen und es gab auch einen sportlich-akrobatischen Ableger.
G.S. berichtet, daß fast alle Wege mit dem Rad zurückgelegt wurden. Vor allem wurde das Rad dazu genutzt weitere Wege (Hannover/Braunschweig) zurückzulegen, da die Bahnfahrkarten meist zu teuer waren.

- Schallmeienkapelle
In Celle gab es in der KPD eine Schallmeienkapelle, die zu jedem gegebenen Anlaß aufspielte. Es wurden sowohl politische als auch andere Lieder gespielt. 1933 mußten die Musiker ihre Instrumente vergraben, da man deren Beschlagnahme durch die Nazis befürchtete. Als man nach 1945 die Instrumente aus ihren Verstecken holte, mußte man feststellen, daß sie stark beschädigt waren. Durch ungenügende Abdichtung waren die Instrumente verrostet und unbrauchbar geworden. Leider hat man sie dann weggeworfen. G.S. bedauerte dies, denn man hätte sie wenigstens soweit herrichten können, daß sie als historisches Material der Arbeiterbewegung in Celle hätten dienen können. / [8]

Durch die wichtigen politischen und sozialen Aufgaben nach dem Zusammenbruch des Naziregimes sei dies jedoch nicht beachtet worden.

Agitpropgruppe
Die Celler KPD hatte mindestens eine Agitpropgruppe, die auf Veranstaltungen auftrat. G.S. berichtete, daß sie dort ebenfalls mitgespielt habe. Zum Namen dieser Gruppe liegen uns zwei unterschiedliche Quellen vor. (16) Es war leider nicht zu klären, ob es sich um nur eine Agitpropgruppe handelte, die vielleicht nur zeitlich verschiedene Namen führte (Links Ran, Alarm), oder aber ob es zwei unterschiedliche Gruppen gab.

- RGO
Über die Arbeit der RGO in Celle liegen uns leider keine nennenswerten Erkenntnisse vor. G.B. war durch ihre Arbeit im Konsum (genossenschaftlich geführtes Lebensmittelgeschäft) im ZDA (Zentralverband der Angestellten) organisiert. Dieser war dem ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) angegliedert. Dadurch hat sie nicht mitbekommen, wie stark die RGO in Celle war. Die Aussage von Paul S., daß die RGO bei Maikundgebungen die Mehrheit gehabt haben soll - läßt sich nicht belegen. (17)

- Arbeitersport
Die KPD hatte keine eigene Sportabteilung in Celle, sondern ihre Mitglieder schlossen sich der Freien Turnerschaft an. Diese hatten in der Neustadt ihr Vereinshaus und ihr Sportgelände. (18)

Zeitungen
Außer der NAZ (Niedersächsischen Arbeiterzeitung), die aus Hannover kam, hatte die Celler KPD zwei Zeitungen. Es waren dies die Rote Fahne (Organ des RFB) und das Rote Sprachrohr, das wöchentlich erschien. (19) Paul S. hat diese Zeitung ausgetragen. G.S. bestätigte uns, daß diese Zeitungen auch nach 1933 illegal weiter erschienen.

3 Strategien und Arbeitsformen

3.1 Vorbereitung auf die Illegalität

Hermann Weber stellt in seinem Buch 'Kommunismus in Deutschland' fest, daß die KPD schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik die Illegalität geübt und geprobt hatte. (20) Auch in Celle, dies bestätigte uns G.S. im Interview, hatte die KPD sich schon vor der Machtergreifung mit diesem Problem auseinander gesetzt. Man erwartete ein Iängeres reichsweites Verbot der Partei, wie dies ja auch schon öfters kurzzeitig regional unter der Preußischen Regierung geschehen war. Deswegen wurde unter den aktiven Mitgliedern schon 1932 eine 'Ersatzkreisleitung' bestimmt. Diese sollte die Arbeit bei Ausfall der ordentlichen Kreisleitung übernehmen. Auch Paul S. gehörte zu diesem Kader. Hierzu ein Zitat:
"Wir hatten es so organisiert, daß, wenn die Parteileitung in die Illegalität gehen mußte oder verhaftet wurde, dann war sofort eine andere da, die weiterarbeitete. Es gab drei Garnituren. Zur dritten gehörte ich." (21)
Es wurden aber nicht nur die personellen Strukturen für eine Illegalität der Partei vorbereitet, sondern auch didaktische und logistische Maß nahmen ergriffen. Auf Schulungen wurden die Genossen im konspirativen Verhalten angelernt. Dies dürfte in Celle besonders schwierig gewesen sein, da ja fast alle aktiven Kommunisten nicht nur den Behörden, sondern auch den meisten Einwohnern bekannt waren. Aul3er den Schulungen wurden frühzeitig verschiedene Materialien angeschafft und Verstecke angelegt. Hierbei handelte es sich um Papier, Schreibmaschinen, mehrere Druckmaschinen, Waffen, Munition und Sprengstoff. Die Druckmaschinen oder Abziehgeräte wurden an verschiedenen Standorten untergebracht. Ferner wurden die Leute bestimmt, die die redaktionelle Arbeit übernehmen sollten. Diese Genossen waren den Mitgliedern, die drucken sollten, nicht bekannt. Ein gegenseitiger Verrat / [10] sollte somit ausgeschlossen werden.
Trotz dieser Maßnahmen kam es sehr schnell zu großen Verhaftungswellen. Schon am 24. April wird die dritte Kaderleitung verhaftet. (22) Wie im gesamten Reichsgebiet, hatten auch die Celler Kommunisten die Härte, mit der gegen sie vorgegangen würde, unterschätzt. Dies beruhte auf einer Fehleinschätzung der KPD, wie auch Hermann Weber feststellt. (23) G.S. sagte hierzu, daß gerade die jungen Genossen in Verkennung der Gefahr mit Eifer bei der Sache waren. Aber niemand hatte sich darüber Gedanken gemacht, mit welchem Terror die Nazis die Kommunisten verfolgen würden. Da die KPD noch nie mit derartigen Maßnahmen (Folter und Konzentrationslager) konfrontiert gewesen war, habe man in seinem jugendlichen Idealismus manchmal die Gefahren, denen man sich aussetzte, nicht richtig eingeschätzt.

3.2 Einheitsfront

3.2.1 Exkurs zur Bevölkerungsschichtung in Celle
Celle ist eine Kleinstadt mit provinziellem Charakter. Die Einwohner sind meist groß- oder kleinbürgerlicher Herkunft. Weder im 19. noch im 20.Jahrhundert hat es von diesen Schichten ernsthafte Versuche gegeben, Industrie in größerem Umfang anzusiedeln. Somit blieb auch die infrastrukturelle Entwicklung der Stadt dem Provinziellen verhaftet. Es gab in den 20er bis 40er Jahren vorwiegend kleine und mittlere Industrie- und viele Handwerksbetriebe. Ein weiterer und nicht unerheblicher Teil der Bürger ist im Verwaltungs- und Justizapparat tätig gewesen. Der Ausbau der Justiz erfolgte schon Anfang des 18. Jahrhunderts. Fast gleichzeitig wurde ein Zucht- und Tollhaus (heute: Justizvollzugsanstalt) und ein Oberappellationsgericht (heute: Oberlandesgericht) in Celle gegründet und erbaut. (24) / [11] Diese beiden eben genannten Bevölkerungsgruppen (Handwerker/Industrielle und Justiz-/Verwaltungsangestellte) waren und sind die wesentlichen Meinungs- und Kulturträger der Stadt.
Das im 19. Jahrhundert entstehende Proletariat traf in Celle auf die oben genannten Bedingungen. Arbeit gab es hauptsächlich im Handwerk, Dienstleistungsbereich, Handel und in der klein- bzw. mittelständischer Industrie. Diese Arbeits- und Lebensbedingungen haben das Bewußtsein des Celler Proletariats somit sicherlich entscheidend geprägt. In Celle treffen wir also nicht auf eine typische Industriearbeitnehmerschaft. Die Anhänger- und Mitgliedschaft der SPD rekrutierte sich dann auch mehr aus Facharbeitern und aus dem handwerklichen Bereich. Bei der KPD finden wir mehr ungelernte Arbeiter. (25) Dies ist sicherlich auch in Großstädten durchaus ähnlich gewesen. Jedoch fehlte hier der provinzielle Charakter. Alles war eben überschaubarer und 'familiärer'. (26) / [12]

3.2.2 Verhältnis von KPD und SPD zueinander
Die im Exkurs kurz skizzierten und nur angerissenen soziostrukturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen sind nicht unwichtig für das Verhältnis der beiden Celler Arbeiterparteien zueinander. Zwar bekämpfte man sich verbal und publizistisch in der Öffentlichkeit, jedoch gab es auf der privaten Ebene weniger Reibungspunkte. Laut G.S. kannten sich viele Kommunisten und Sozialdemokraten persönlich recht gut. Trotzdem verhinderten die ideologischen Unterschiede ein gemeinsames Handeln der beiden Arbeiterparteien gegen die aufziehende Gefahr des Faschismus. (27)
Diese Umstände führten wohl auch dazu, daß, wie sich G.S. erinnert, von Seiten der KPD keine offiziellen Angebote zu einer Einheitsfrontpolitik an die Celler SPD herangetragen worden sind. Dies gilt für die gesamte Zeit von 1930-45. Lediglich vor 1933 hat es vereinzelt mit einigen wenigen Sozialdemokraten zu besonderen Aktionen eine begrenzte Zusammenarbeit gegeben. Laut G.S. ist dies jedoch nur möglich gewesen, weil man diese Sozialdemokraten besonders gut kannte und für vertrauenswürdig genug erachtete: Ansonsten war man den Sozialdemokraten gegenüber eher mißtrauisch. In der Zeit des aktiven Widerstandes hat es solche Kontakte dann auch nicht mehr gegeben.

3.3 Zum allgemeinen Verhalten in der Illegalität
Im Kapitel zur Vorbereitung der Illegalität hatten wir kurz die logistische Seite des Widerstandes kennengelernt. Nun wollen wir uns mehr dem allgemeinen Verhalten der Mitglieder untereinander zuwenden. Hierzu ist das Interview mit G.S. unsere einzige Quelle (aus den in der Einleitung schon genannten Gründen) und leider sagte uns G.S. dazu nur allgemein bekannte Tatsachen.
Die illegal arbeitenden Genossen hatten Deck-/ [13] namen, geheime Treffpunkte und arbeiteten nur in kleinen Gruppen zusammen. Ob es sich hierbei um 3er oder 5er Gruppen, nach dem allgemein bekannten Muster auf Reichsebene, handelte, konnten wir nicht mit Sicherheit klären. Unsere ansonsten sehr offen redende Gesprächspartnerin wirkte an dieser Stelle sehr zugeknöpft. Woran das lag, kann man nur spekulativ beantworten. Entweder sie hat viele Dinge dazu vergessen - dies scheint jedoch sehr unwahrscheinlich, da sie sich an andere Dinge doch recht genau erinnerte - oder das damals eingeübte Verhalten wirkt noch heute nach, und sie ist solchen Interviews gegenüber mißtrauisch. Wir neigen in unserer Beurteilung dazu, der zweiten Variante den Vorzug zu geben. Nicht ganz unwichtig hierbei ist auch G.S. eigene Position im Widerstand. Sie bekam den Auftrag sich jeglicher anderer politischen Arbeit zu enthalten, denn sie wurde an ihrem Arbeitsplatz als Anlauf- und Umschlagpunkt für illegales Material benötigt. Dazu jedoch genaueres unter Kapitel 4 unserer Ausarbeitung. An dieser Stelle ist nur darauf hinzuweisen, daß genau diese besondere Stellung G.S. Mißtrauen bei anderen Genossen hervorrief. Sie dachten, ihr Vater wolle seine Tochter bevorzugen und schützen. Einige hielten sie für angepaßt. Das hat ihr manchmal sehr weh getan, jedoch aus Tarnungsgründen und aufgrund der Wichtigkeit ihrer Arbeit ist sie persönlich mit der Situation fertig geworden.

3.4 Verbindung zu anderen Widerstandsgruppen
Es hat wohl, außer zu in Hannover arbeitenden KPD-Widerstandsgruppen, keine anderen direkten Kontakte gegeben. Weder kann sich G.S. daran erinnern, noch finden sich hierzu irgendwelche Aussagen bei Paul S. oder der offiziellen Darstellung der DKP (in: Otto Elsner - ein Celler Arbeiterfunktionär) zum Widerstand. / [14]

4. Illegale Aktionen der KPD in Celle

Es können hier natürlich nicht alle von Kommunisten in Celle durchgeführten Widerstandsaktionen aufgezählt werden. So wurden aus Sicherheitsgründen längst nicht alle Aktivisten über alle geplanten oder durchgeführten Aktionen informiert. (28) Es werden heute vor allem auch die größeren, heute würde man sagen 'PR wirksamen' Aktionen erzählt oder niedergeschrieben. Auf den 'kleinen und tagtäglichen' Widerstand läßt sich bei den Aussagen von Zeitzeugen nur indirekt schließen. Er wird wohl auch als eine weitere Art von 'minderem' Widerstand gesehen. So spricht G.S. quasi entschuldigend davon, daß ab 1939 etwa nichts mehr möglich gewesen wäre. (29) (gemeint ist das konspirative Verhalten)
Wir denken jedoch, die wichtigsten Aktionen herausgefunden zu haben und wollen diese auch auf führen.

4.1 Der Sender
Nur wenige Jahre, nachdem die ersten Radios zu kaufen waren, nachdem die ersten Rundfunksender den Sendebetrieb aufnahmen, trafen sich Celler Kommunisten und planten den Bau eines eigenen Senders. (30) Sie bildeten auch in Celle einen Arbeiter-Radio-Bund. (31) Wichtige Teile für diesen Sender wurden entweder 1931 oder 1932 aus einem Peilwagen der Post entwendet. (32)
Es war auch nicht herauszufinden, wann der Sender das erste Mal in Betrieb genommen wurde. Am 07. Januar 32 werden wohl erstmalig die Behörden über die Existenz eines wahrscheinlich kommunistischen, lokalen Celler Sender informiert. (33) Am 18. März 33 findet die GESTAPO / [15] - bei einer Razzia in dem Haus am Maschplatz 4 - den Sender. (34) G.S. vermutet einen Denunzianten, da nach ihrer Aussage die GESTAPO die Kellermauer gezielt an der Stelle aufbrach, hinter der sich der Sender auch befand. (35) Die Sendeanlage war in einem Koffer fest installiert und wurde fast täglich bewegt. Der Aufenthaltsort wechselte sehr häufig. Mit der verschärften Suche nach dem Sender ab dem 30. Januar 33 nahm auch die Entdeckungsgefahr zu. Um dieser Gefahr zu entgehen, wurde nur noch von einem Schiff oder Boot aus gesendet, das man die Aller hinunter treiben ließ. Die Peilungen mußten einfach sehr ungenau sein und ergaben auch immer wieder neue Ergebnisse. (36) Das Rote Sprachrohr schon in der Weimarer Republik waren die Publikationen der KPD vorübergehend verboten worden. (37) Schon in den Jahren 1931 und 1932 wurde das Celler KPD Organ 'Das Rote Sprachrohr' zeitweilig illegal gedruckt und verteilt. (38) Es muß in Celle zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung und auch darüber hinaus noch mindestens drei Druckmaschinen gegeben haben. Die Druckmaschinen waren auf die Stadtteile verteilt, in denen die KPD einigermaßen personell vertreten war. (39) Paul S. erzählt von einer Druckmaschine, die er gemeinsam mit seinem Bruder im März 1933 im Garten vergrub. (40) Er war gewarnt worden, daß SA-Leute eine Haussuchung vornehmen wollten. Eine nette Anekdote dazu berichtet, daß der leitende Beamte genau an der Stelle im Garten stand, wo die Materialien nebst Druckmaschine vergraben waren. Dieser Garten wurde an mehreren Stellen umgegraben, ge- / (16) funden wurde nichts. (42) Nach Abzug der SA gruben die beiden Brüder die Maschine wieder aus, um sie im Saarfeldgraben zu versenken. In der gleichen Nacht kam die SA ein weiteres Mal, die beiden Brüder wurden von ihnen zu stundenlangen Verhören mitgenommen. (42)
Trotzdem konnte noch etwa bis zur Jahreswende 'Das Rote Sprachrohr' ziemlich regelmäßig erscheinen. Die Verteilung übernahm ein Austräger der Celleschen Zeitung, der ihm bekannten Kommunisten die eigene Zeitung, eingewickelt in die Cellesche Zeitung, anbot. (43)
Im Verlauf des Jahres 1934 wurde in der Kirchstraße eine Druckmaschine ausgehoben. (44) Die beiden Kommunisten, die gerade am drucken waren, wurden festgenommen und die Maschine wurde beschlagnahmt. Die Redakteure jedoch blieben unerkannt. Sie schafften es schon am nächsten Abend eine neue gekürzte Ausgabe herauszubringen und in der Bevölkerung zu streuen, mit der Information, daß am Tag vorher eine Druckmaschine von den Nazis entdeckt worden war. (45) Die Gründe dafür, daß gegen Ende des Jahres 1934 das Erscheinen der Zeitung eingestellt wurde, lassen sich nur vermuten. Im Herbst 1934 wurden bei einer abermaligen Verhaftungswelle führende Celler Kommunisten, die zwischenzeitlich sogar aus den Gefängnissen freigekommen waren, so auch Otto Elsner, (46) wieder eingesperrt. Der Kreis der für die Zeitung Verantwortlichen wurde kleiner, der Widerstand immer gefährlicher. Es ist nicht bekannt, ob neben der Druckmaschine aus der Kirchstraße weitere Maschinen entdeckt wurden. Es wurden von der Celler KPD noch bis 1936 eigene Flugblätter gemacht. (47) Später dann wurden nur noch Flugblätter von 'Oben', die Herkunft war nicht genau geklärt, verteilt. Es reichte aus, daß immer noch von irgendwo Informationen bis nach Celle gelangten. Die Empfänger dieser Flugblätter kamen wohl ausschließlich aus den eigenen Reihen. (48) / 17

4.3 Waffen
Die Celler Kommunisten verfügten schon vor 1933 über mehrere Pistolen und/oder Gewehre sowie über ein Maschinengewehr. (49) In den Interviews kommen sehr viel Informationen darüber, daß die SA und später dann die GESTAPO speziell nach Waffen gesucht haben. Es wurden Wände aufgerissen und Gärten umgegraben. Waffenfunde werden eher beiläufig erwähnt. Sehr interessant und aufschlußreich erscheint uns die Einschätzung von G.S., demnach die Waffen eigentlich nur zur Verteidigung der Organisation gedacht waren, und zumindest in Celle ein bewaffneter Aufstand überhaupt nicht möglich gewesen wäre. (50) Über den Gebrauch der Waffen liegt uns keine Information vor. Auch bei Haussuchungen, Festnahmen und Beschlagnahmungen kam es zu keinen Auseinandersetzungen. Dies ganz im Gegensatz zu der Zeit vor 1933 und auch im Gegensatz zu der Mentalität vieler Celler Kommunisten, gerade den sogenannten 'Maschern'. (51)
Im Stadtteil Blumlage gab es die Alte Masch und den Maschplatz, heute etwa von der räumlichen Ausdehnung mit der Sankt-Georg-Straße und dem vorderen Teil der Blumlage identisch. Die Alte Masch war die für Celle typische Arbeiterwohngegend. In jedem Haus wohnte mindestens ein Kommunist, (52) dazwischen gab es einige Sozialdemokraten und nur ganz versprengt Anhänger der NSDAP. Zunächst einmal aber kamen alle aus der Masch und waren die Mascher.
Die Alte Masch selbst war eine Straße mit alten und sehr kleinen Häusern, die dort Wand an Wand standen. Bemerkenswert dabei ist, daß zur Mitte hin sich die Straße verbreiterte und zu den beiden Enden hin verengte. Sie läßt sich sehr anschaulich mit einem Quadrat vergleichen, daß an zwei gegenüberliegenden Ecken extrem auseinander gezogen wird. Ihre Bewohner waren zu großen Teilen dem sogenann- / [18] ten Lumpenproletariat zuzurechnen. Es waren viele Ungelernte und Hilfsarbeiter ohne Schulbildung und viele Arbeitslose dabei. (53) Auf den Dachböden der Häuser waren Durchgänge angelegt, sodaß es möglich war, in das erste Haus hineinzugehen, von dort aus dann über die Dachböden bis zum letzten Haus zu gelangen, um von dort wieder zu verschwinden. Davon wurde den Erzählungen nach häufiger Gebrauch gemacht.
Das Maschinengewehr war dazu gedacht, diese 'Arbeiterfestung' im Notfall zu verteidigen. Von der geographischen Lage her waren die Dachböden der Häuser am Eingang zur Masch als Standort hervorragend geeignet. Das Maschinengewehr wurde dort auch lange versteckt. Neben anderen Waffen wurde es von den Nationalsoziaiisten nie gefunden. (54) Über den Verbleib der Waffen, sie wurden teilweise auch auf Feldern und im Wald vergraben, gibt es im Gegensatz zu dem Verbleib der ebenfalls vergrabenen Schalmeien keine Informationen. Die Schalmeien wurden 1945 wieder ausgegraben. Aufgrund der nicht luftdicht schließenden Verpackung hatten die Instrumente jedoch soviel Schaden genommen, daß sie nicht mehr brauchbar waren.

4.4 Die Funktion von G.S. im Celler Widerstand der KPD (55) / [19]
G.S. war bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten noch nicht ganz 20 Jahre alt. Der Vater war ein allseits bekannter Kommunist. G.S. war im KJVD (Kommunistischer Jugendverband Deutschlands) aktiv, dort beispielsweise in der `Agitprop-Gruppe'. Mit gelegentlichen Theater- und Straßenaktionen trat diese Gruppe auch in Celle an die Öffentlichkeit.
Der Vater wurde schon bald als Kommunist verhaftet. Die Mutter verkraftete diese Situation nicht. Sie rnußte von G.S. und Freunden schon bald in eine Nervenheilanstalt gebracht werden. Im weiteren Verlauf wird die Mutter nicht mehr erwähnt. Es bleibt nur noch die schulpflichtige, jüngere Schwester in Celle. Zudem mußten noch Schulden abbezahlt werden, die der Vater beim Bau des eigenen Hauses gemacht hatte. Die Situation war für die Jungkommunistin G.S. nicht einfach. Sie arbeitete im Konsum, in einer kleinen Filiale, in die nur am Freitag und am Sonnabend eine zweite Aushilfe geschickt wurde. Ansonsten arbeitete G.S. allein.
Die Partei nutzte diese Situation für die eigenen Bedürfnisse. G.S. wurde verpflichtet, sich aus möglichst allen Aktionen der KPD herauszuhalten. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, Informationen in Form von Papieren und Flugblättern zwischenzulagern. Es kamen Leute in den Konsum, brachten einen Stapel Akten, Flugblätter oder ähnliches, andere holten das dann wieder ab. Die Boten waren G.S. in der Mehrzahl der Fälle unbekannt, sie wußte jedoch, daß die Boten entweder aus Harburg oder aus Hannover kamen. Andere Informationswege waren ihr nicht bekannt. Nur ein Teil der Unterlagen waren für die Celler Kreisleitung bestimmt.
In dem Interview berichtet G.S. auch von dem Unverständnis, auf das ihre scheinbare Inaktivität bei anderen Celler Kommunisten stieß: "Daß gerade du nicht..."
Im eigenen Haus lagerten keine Informationen. Trotz mehrmaliger Haussuchung wurden bei G.S. niemals Unterlagen gefunden. Außer der Roten Fahne kam nichts zu G.S. nach Hause. Wie sie mit der Roten Fahne verfuhr, ob sie sie weitergab, versteckte oder verbrannte erfuhren wir nicht. G.S. wurde keinmal verhaftet, jedoch häufig zu Verhören vorgeladen oder auch / [20] einfach zu Verhören aus dem Laden geholt. Die Nationalsozialisten hatten sie zwar im Verdacht: "Auch dich kriegen wir noch!" Aber die Tarnung hielt bis zum Kriegsende. Wobei der Informationsfluß durch und nach Celle mit den Jahren auch immer spärlicher wurde.
G.S. war jedoch nie vom allgemeinen Informationsfluß, was Aktionen der Celler KPD anging, abgeschnitten.
Neben der bisher vorgestellten Widerstandsarbeit und dem konspirativen Verhalten wurde G.S. auch noch in einem anderen Fall aktiv. Im Jahr 1934 oder 1935 stellte sie auf Anweisung hin einer ihr unbekannten Person ihr Fahrrad zur Verfügung. Im Gedächtnis geblieben ist der Vorgang deshalb, weil ihr einige Jahre später mehr darüber berichtet wurde. Lilo Herrmann hatte das Fahrrad benutzt, sie hatte vom ZK den Auftrag erhalten den Widerstand unter den Arbeiterinnen in Munitionsfabriken aufzubauen. Uns ist nicht bekannt, inwieweit sie zu den Arbeiterinnen in der Munitionsfabrik Celle-Scheuen kontakten konnte. Lilo Herrmann war die erste Frau, die 1938 in Plötzensee hingerichtet wurde. Eine Hinrichtung, die G.S. nach eigenem Bekunden erst so richtig auf die möglichen tödlichen Gefahren ihrer Arbeit im Widerstand aufmerksam machte.

5 Schlußbetrachtung
Viele Formen des kommunistischen Widerstandes, den wir in Celle kennengelernt haben, unterschieden sich erheblich vom Widerstand in Großstädten. Trotzdem kann man von einem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auch in kleinen Städten reden.
Es gab in Celle aufgrund der soziographischen Situation sowohl Vor- als auch Nachteile. Aktionen mit persönlichem Auftreten (Stören von Versammlungen) ließen sich in Celle wegen der hohen Wiedererkennungsgefahr nicht durchführen (Jeder kannte Jeden). Es mußte daher auf andere phantasievolle Aktionen wie die illegalen Radiosendungen zurückgegriffen werden. Aber auch hier zeigte sich, daß der Widerstand zumeist von der Substanz leben mußte, d.h. nach der nationalsozialistischen Machtergreifung konnten keine neuen Ideen mehr entwickelt / [21] und umgesetzt werden.
Ein eindeutiger Beleg für die Vorbereitung der KPD auf die Illegalität in wirklich großem Rahmen ist die Tatsache, daß nicht nur in Großstädten, sondern auch in dem unbedeutendem Celle frühzeitig die Parteigenossen auf sie vorbereitet wurden (Kader, Versteck von Waffen und Schalmeien, mehrere Druckmaschinen samt Zubehör und Ausweichstandorten, Arbeitsaufteilung und Tarnung).
Die Provinzialität (Jeder kennt Jeden) erleichterte es, Spitzel zu erkennen. Aus den uns vorliegenden Unterlagen läßt sich nur schließen, daß die wichtigsten kommunistischen Führer für längere Zeit festgesetzt wurden. Eine intensive Nachforschung nach weiteren wichtigen Aktivisten scheint in Celle längst nicht so ernsthaft betrieben worden zu sein, wie es aus Großstädten berichtet wird.
Dies erst ermöglichte es einer vor der Machtergreifung exponierten Kommunistin sich auf persönliche, individuelle Gründe (Vater verhaftet, Mutter in der Nervenheilanstalt, schulpflichtige Schwester, Haus noch abzubezahlen) zur Tarnung zurückzuziehen. Ein Stück weit kam ihr dabei sicher auch die Provinzialität der Beamten entgegen, die sie bei Hausdurchsuchungen zunächst einmal allein das Haus betreten ließen. Dabei spielten sicherlich auch kleinbürgerliche Denkstrukturen sowie die nahezu kritiklose Übernahme der nationalsozialistischen Mutter- und Frauenideologie eine eminent wichtige Rolle (eine deutsche Frau wird doch nie...). Alles war aber im Endeffekt nur möglich, weil man sich kannte.
Die Fehleinschätzung der KPD, was die Dauer der nationalsozialistischen Herrschaft anging, wird heute, wenn auch vielleicht nicht gerne, auch von Kommunisten aIs Fehleinschätzung bezeichnet. Diese Fehleinschätzung, daß die Nazis nur eine vorübergehende Erscheinung darstellen würden, erklärt, warum vorhandene Waffen nicht zum bewaffneten Massenaufstand eingesetzt wurden. Sie waren für die Verteidigung der eigenen Organisation gedacht. Uns wurde nicht bekannt, daß seitens der KPD diese Waffen jemals eingesetzt wurden. Dabei wurden einige dieser Waffen, so das zur Verteidigung der Masch gedachte Maschinengewehr, nie gefunden. / [22]
Durch die bereits angesprochene Provinzialität (Jeder kennt Jeden) konnte die KPD sehr genau einschätzen, mit welchen Celler Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit möglich gewesen wäre und mit welchen nicht (wenig linke Celler Sozialdemokraten). Daher war die Einheitsfront in Celle kein Thema. Es wurde jedoch auf persönlicher Ebene mit den linken Sozialdemokraten bei einzelnen Aktionen zusammen gearbeitet. Für die Zeit des Widerstandes war aufgrund des persönlichen Bekanntseins die Zusammenarbeit mit 'mittleren' bis rechten Sozialdemokraten als zu gefährlich eingeschätzt. In dem reichsinternen Kommunikationsnetz der KPD war Celle für die Nord-Süd-Schiene von Hamburg nach Hannover eine wichtige Durchgangsstation. Unsere Gesprächspartnerin hatte seit dem Verbot der Partei die Aufgabe, Informationen entgegenzunehmen und wieder abzugeben. Es handelte sich mehrheitlich um Material, das durchgeschleust wurde. Aber auch für Celle bestimmte Materialien und Papiere wurden bei ihr deponiert. Die Wichtigkeit ihrer Position in Celle läßt sich daran verdeutlichen, daß die Celler Genossen über ihre Funktion aus Sicherheitsgründen mehrheitlich nicht unterrichtet waren. Sie warfen ihr im Gegenteil vor, sich zu sehr aus der Arbeit zurückzuziehen. Solange Materialien kamen (bis ca. 1937) und auch später sind ihre Aktivitäten von der GESTAPO nicht entdeckt worden, obwohl sie quasi unter ständigem Verdacht stand. Schließlich war sie als Aktivistin vor der Machtergreifung sehr bekannt gewesen.
Auch Celler Kommunisten beklagen, daß sie bis auf ihre Mitglieder und Sympathisanten nur wenig Öffentlichkeit erreichten. Es dürfte gerade auch in Celle schwierig gewesen sein, an andere Bevölkerungsschichten heranzutreten. Es handelte sich in Celle dabei vorwiegend um Beamte, Kaufleute, Handwerker und Gewerbetreibende, eben den typischen Vertretern des Kleinbürgertums und damit der Wählerschaft der NSDAP. Als einzig erreichbare Öffentlichkeit war in Celle die nur schwach (prozentual) vertretene Sozialdemokratie nebst Anhängern denkbar. Hier jedoch verhinderten die ideologischen Schranken gemeinsame Aktionen. Zusammenfassend kann man sagen, daß der Widerstand der Celler KP an den allgemeinen / [23] Widerstand der KPD angebunden war. Auch hier läßt er sich in die drei bekannten Phasen unterteilen. His zur Jahreswende 34/35 war der Widerstand ein aktiver Widerstand - durch vorbereitete und geschulte Kader. Jedoch schon in der dritten Generation gab es die ersten Schwierigkeiten, da hier die Ausbildung teilweise schon als mangelhaft zu bezeichnen war. Ab 1935 dann wurden die Aktionen, bedingt durch Verhaftungen und minderqualifizierten Kadern, Verlust von Druckmaschinen und Materialien etc. extrem reduziert. Spätestens mit Kriegsbeginn, regional sicher unterschiedlich, waren auch diese Widerstandsformen kaum mehr möglich. Mehr als konspiratives Verhalten war kaum noch machbar. Das eigene Überleben in der Illegalität band alle noch verbleibenden Kräfte. So auch in Celle.

Kandidatenliste zur Kommunalwahl 1933 in Celle entnommen aus der Celleschen Zeitung
hier: Liste der KPD

Hans Ohrt
Henriette Schmidt
Willibald Loebke
Louis Berger
Georg Kölle
Frida Wolter
Albert Weykopf
Paul Zaarge
Ella Fehlig
Emil Schang
Marie Ahlvers
Walter Scheller
Heinrich Kunkel
Karl Fehlig
August Goras
Alfred Hoßbach
Luise Espenhain
Werner Weidlich
Karl Hohof
Rudolf Klingemann
Willi Ahrens
August Müller
Bruno Henning
Wilhelm Holtkotte
Paul Erdmann
Friedrich Duwe
Wilhelm Hock
Wilhelm Lindner sen.
Karl Salzmann

Anmerkungen:
1 Otto Elsner, Ein Celler Arbeiterfunktionär Hrsg. DKP Kreisvorstand Celle, Hannover o.J. S. 1
2 Elsner S. 6
3 die Arbeit liegt im Anhang bei
4 Kandidatenliste zur Kommunalwahl 33 der Celleschen Zeitung entnommen
5 0tto Elsner;a.a.0., S.8 und S. 27
6 ebenda S.8 und S. 27
7 Beitrag zum Schülerwettbewerb: Deutsche Geschichte "Alltag im Nationalsozialismus vom Ende der Weimarer Republik bis zum 2. Weltkrieg" S. 7
8 ebenda, S. 52b
9 Otto Elsner; a.a.0., S. 63
10 Celle Lexikon, RWLE Möller, Hildesheim 1987, S. 246, 166, 277 aber auch Interview mit G.S.
11 Beitrag zum Schülerwettbewerb, a.a.0., S. 52 d aber auch Interview mit G.S.
12 Elsner; a.a.0., S. 41F
13 Beitrag zum Schülerwettbewerb; a.a.0., S. 3
14 Elsner;a.a.0., S. 82ff, Celle Lexikon; a.a.0., S. 8, Schülerwettbewerb; a.a.0., S. 1
15 Schülerwettbewerb; a.a.0., S. 3
16 Elsner; a.a.0., S. 9, Celle Lexikon; a.a.0., S. 130 (unter dem Stichwort: Kunkel, Willi)
17 Schülerwettbewerb; a.a.0., S. 6
18 Celle Lexikon; a.a.0., S. 227 (Turnvereine)
19 ebenda S. 184
20 Kommunismus in Deutschland 1918-45; Hermann Weber, Darmstadt 1983, S. 140
21 Schülerwettbewerb; a.a.0., S. 9
22 ebenda; a.a.0., S. 13
23 Kommunisten in Deutschland: a.a.0., S. 140F
24 Celle Lexikon; a.a.0., S. 114 und S. 168
25 Schülerwettbewerb; a.a.0., Q 52 d x
26 Um gerade das Verhältnis der SPD zur äußeren und inneren Situation zu verstehen, sei an dieser Stelle auf einen Aufsatz von Reinhard Hesse und Wilfried Köppen. mit dem Titel: 'Keine Experimente - schläfriges aus der Sozialdemokratie', verwiesen (in: Hinter den Fassaden / Geschichten aus einer deutschen Stadt; Hg: Holtfort, Kandel, Köppen. Vultejus; Göttingen 1982). Hierin wird kurz auf das Verhältnis der Sozialdemokratie zur KPD und den kleinbürgerlichen Kreisen eingegangen. Zwar handelt es sich nicht um ein wissenschaftliches Werk. Jedoch wird eine gute Situationsbeschreibung der Bewußtseinslage der Celler SPD skizziert.
27 siehe hierzu Aussagen von Paul S. im Beitrag zum Schülerwettbewerb, S. 6-7
28 Interview G.S. (dem Sinn nach) '...natürlich waren wir nicht immer über alles informiert'
29 ebenda
30 ebenda
31 Otto Elsner; a.a.0., S. 84
32 Interview G.S.
33 Otto Elsner; a.a.0., S. 84f (Kreisleiter der Landjägerei in einem Brief an den Landrat)
34 Schülerwettbewerb; a.a.0.
35 Interview G.S.
36 ebenda
37 ebenda; 'Die (gemeint sind Zeitungen) waren oft dran, mal 8 Tage, mal 3 Tage, mal vier Wochen, das war oft.'
38 ebenda
39 ebenda
40 Schülerwettbewerb; a.a.0.
41 Otto Elsner; a.a.0., S. 87
42 ebenda
43 Schülerwettbewerb; a.a.0.
44 Interview G.S.
45 ebenda
46 Otto Elsner; a.a.0., S. 6
47 Interview G.S.
48 Vermutung, da keine Berichte darüber
49 Interview G.S.
50 ebenda
51 ebenda '...natürlich prügelten sich die Kommunisten mit der SA und mit den Sozis, aber am nächsten Tag konnten sie wieder in der Kneipe ein Bier miteinander trinken.'
52 ebenda
53 ebenda
54 ebenda
55 Wir stützen uns bei diesem Kapitel vollständig auf das von uns durchgeführte Interview. Alle wiedergegebenen Informationen kommen von G.S. selbst und sind von uns nur in einer neuen Reihenfolge niedergeschrieben. Weitere Anmerkungen zu diesem Punkt ergeben sich aus den anderen Quellen nicht. Die Information, daß Materialien da waren, wäre uns unzureichend. Wir wollen daher auf Gedankenspiele wie: Das und das lief alles im KPD-Widerstand, da uns keine mögliche andere Person bekannt ist, die als Urheber in Frage kommen könnte, bestätigt dies die Aussagen von G.S