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Familie Feingersch in den 1930er Jahren. Obere Reihe von links: Rosa, Marie, Moses, Rafael, David, Fanny. Untere Reihe von links: Elias, Rebekka, Benjamin, Hermann, Isaak, Sally.
Familie Feingersch in den 1930er Jahren. Obere Reihe von links: Rosa, Marie, Moses, Rafael, David, Fanny. Untere Reihe von links: Elias, Rebekka, Benjamin, Hermann, Isaak, Sally.
StA Celle/Eli Eyal

Rede zur Verlegung der "Stolpersteine" vor der Synagoge am 16.04.2004 / Manuskript

Meine Eltern Rebekka und Isaak Feingersch und meine älteste Schwester Marie emigrierten 1912 von Odessa nach Deutschland. Sie wurden von der Tante meines Vaters in Frankfurt am Main aufgenommen. In Frankfurt wurde ihr erster Sohn David, mein ältester Bruder, geboren. Meine Eltern, Vater als Berufsschlosser und Mutter als sehr gute Schneiderin, fanden sofort gute Arbeitsplätze und konnten ihre junge und kleine Familie gut unterhalten.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wurde die Familie verhaftet, weil sie russische Staatsangehörige waren, und getrennt im Lager Holzminden interniert. Um die Lebensbedingungen der Familie zu verbessern, meldete sich Isaak freiwillig zu schwerer Arbeit im Kaliwerk in Ovelgönne bei Celle. Durch gute Zeugnisse und wegen des Vertrauens seiner Arbeitsgeber, das er genoss, durfte Isaak 1915 seine Familie nach Ovelgönne bringen. Ein Versuch, nach dem Ersten Weltkrieg nach Frankfurt zurückzukehren, scheiterte, weil - wie es hieß - mein Vater weiter diese wichtige Arbeit für das Vaterland leisten müsse.
In Ovelgönne bekam das Ehepaar Feingersch noch sechs Söhne und zwei Töchter. Alle zehn Kinder verbrachten hier ihre Kinder- und Jugendzeit und besuchten die Volksschule in Oldau. Die große Kinderzahl erforderte es, dass meine Eltern für viele Dinge selbst sorgen mussten: Vater reparierte Schuhe, schnitt die Haare, zog sogar Zähne, und meine Mutter schneiderte und veränderte Kleidungsstücke, je nach Alter und Größe, die dann von einem Kind zum anderen vererbt wurden. Nach der Stilllegung des Kaliwerks Ovelgönne fand mein Vater Isaak Arbeit bei der Zentralheizungsfirma Sandel in Celle, bei der er bis zu seinem letzten Tag in Celle angestellt war.
Als einzige jüdische Familie in Ovelgönne waren die Beziehungen der Familie Feingersch zu den anderen Familien des Dorfes gut und normal. Die Wohnung der Familie in der Mittelstraße war ein Treffpunkt der Dorfjugend, auch weil es dort beim Singen und Spielen von meinem Vater selbstgemachtes Malzbier zu trinken gab.
Die Familie hatte enge Verbindungen mit der jüdischen Gemeinde in Celle. Alle Söhne hatten ihre "Bar-Mizwa" in der Celler Synagoge. An den jüdischen Feiertagen und den jährlichen Gedenktagen waren die männlichen Mitglieder der Feingersch nötig, um ein "Minjen" [= Voraussetzung für die Abhaltung des Gebets ist die Anwesenheit von mindestens 10 religionsgesetzlich volljährigen männlichen Juden] zu erreichen. Religionsunterricht bekamen wir von unserem sehr geliebten Rabbiner Simon Lotheim.
Im Laufe der Jahre verließen die älteren Kinder Ovelgönne, um Büroberufe zu erlernen oder um eine landwirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren. Besonders diese sollte sie auf ein Leben in Palästina vorbereiten. 1936 wurde meiner Familie vorgeschlagen nach Argentinien auszuwandern, um dort eine landwirtschaftliche Farm zu bearbeiten. Sie erhielten die Aussicht diese dann als Eigentum zu bekommen. Meine Eltern lehnten diesen Vorschlag ab, denn sie wollten nur nach Palästina fahren, wo mein Bruder David schon lebte. Sie waren überzeugt davon, dass er für sie ein Zertifikat zur Einreise bekommen würde, und dass auch noch andere ihrer Kinder sich auf den selben Weg machen würden.
Am 8. Juli 1937 zog meine Familie nach Celle in das Jüdische Gemeindehaus, Im Kreise 23. Die mittleren Kinder verließen nun auch die Familie, um sich in verschiedenen Vorbereitungslagern für ihre Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. So kamen die vier Söhne - Moses, Rafael, Sally und Elias rechtzeitig nach Palästina und die drei Schwestern - Marie, Fanny und Rosa erreichten Holland. Bei den Eltern blieben nur Benjamin und Hermann. Fanny und Marie heirateten in Holland. Benjamin ging auf ein Jugendvorbereitungslager in Neuendorf und Hermann lernte zeitweilig in der jüdischen Gartenbauschule in Ahlem bei Hannover. Ein reger Briefwechsel entstand zwischen allen jetzt verstreut lebenden Familienmitgliedern.
Mein Vater Isaak, der als Heizer im Allgemeinen Krankenhaus an der Pfennigbrücke arbeitete, erhielt Ende November 1941 den Befehl, sich mit seiner Frau und seinem Sohn Hermann am 2. Dezember am Bahnhof zu melden. Mein Bruder Benjamin bekam eine besondere Erlaubnis, um sich von seinen Eltern zu verabschieden. Er begleitete sie zum Celler Bahnhof und sah sie dort zum letzten Mal.
Isaak, Rebekka und Hermann Feingersch wurden am 2. Dezember 1941 nach Riga deportiert und kamen in ein Arbeitslager in der Nähe der Stadt. Nach einiger Zeit wurde Rebekka ins Ghetto Riga geschickt und ist dort oder in einem Vernichtungslager ermordet worden. Isaak und Hermann kamen mit ihrer Arbeitsgruppe in das KZ Kaiserwald. Isaaks Name erschien noch auf der Liste der arbeitsfähigen Menschen, die am 1. Oktober 1944 im KZ Stutthof ankamen. Er ist dort verschollen. Mein Bruder Hermann kam höchstwahrscheinlich schon vorher um.
Meine drei Schwestern wurden von ihren Vorbereitungslagern in Holland in das KZ Westerbork transportiert. Von da wurden sie alle nach Auschwitz deportiert und dort vergast: Rosa schon 1942, Fanny, ihr Mann und ihr Sohn 1944, und Marie und ihr Mann am 28.2.1945.
Benjamin war von seinem Vorbereitungslehrgang für Palästina in das Arbeitslager Neuendorf-Fürstenwalde an der Spree gekommen. Von dort wurde er nach Auschwitz deportiert und kam in das KZ-Arbeitslager Buna. In einem schlimmen körperlichen Zustand wurde er von Oskar Schindler aus einem Todesmarsch gerettet. Nach seiner Befreiung im Mai 1945 suchte Benjamin seine Schwestern in Holland und hoffte auch von seinen Eltern zu hören. Doch beides blieb ohne Erfolg. Ein halbes Jahr später erreichte er mit einem illegalen Schiff Palästina.
Die Familie Feingersch in Israel zählt heute mehr als 100 Mitglieder. Ihre Vergangenheit in Celle ist mit großem Schmerz und tiefer Trauer verbunden. Die eingesenkten Stolpersteine mit den Namen ihrer Holocaustopfer sind ein gewisser Trost und werden die Verbindung mit der Celler Synagoge und mit der letzten gemeinsamen Wohnung für ewig aufrecht erhalten. Für diese gute und tapfere Tat und "Mizwa" von allen mit diesem Projekt verbundenen Freunden, und insbesondere den Paten, bedanke ich mich herzlich im Namen der Großfamilie Feingersch.

Zusammenfassung: Eli Eyal (Elias Feingersch), April 2004

Chronologie der Mitglieder der Familie Feingersch:

Isaak Feingersch, geboren 1885 in Odessa
Deportiert 1941 nach Riga, 1944 verschollen in Stutthof

Rebekka Feingersch, geb. Aswolinskaja, 1887 bei Odessa
Deportiert 1941 nach Riga, dort ermordet

Marie Feingersch, geb. 1911 in Odessa, verh. Klijnkramer
Deportiert 1942 nach Westerbork, 1944 nach Theresienstadt
Ermordet 1945 in Auschwitz

David Feingersch, geb. 1914 in Frankfurt am Main
Ausgewandert 1936 nach Palästina; starb 1994 in Israel

Moses Feingersch, geb. 1916 in Celle
Ausgewandert 1937 nach Palästina: lebt in Haifa, Israel

Rafael Feingersch, geb. 1917 in Ovelgönne
Ausgewandert 1936 nach Palästina; lebt in Ramat-Hasharon, Israel

Fanny Feingersch, geb. 1918 in Winsen/Aller, verh. Prager
Deportiert 1944 nach Auschwitz, dort 1944 ermordet

Rosa Feingersch, geb.1920 in Oldau
Deportiert 1942 nach Auschwitz, dort 1942 ermordet

Sally Feingersch, geb.1922 in Ovelgönne
Ausgewandert 1938 nach Palästina: lebt in Kfar-Saba, Israel

Elias Feingersch, geb. 1923· in Ovelgönne
Ausgewandert 1939 nach Palästina; lebt in Ramat-Hasharon, Israel

Benjamin Feingersch, geb. 1925 in Oldau
Deportiert 1943 nach Auschwitz-Buna. 1945 befreit
Ausgewandert 1945 nach Palästina; starb 1989 in Israel

Hermann Feingersch, geb. 1927 in Ovelgönne
Deportiert 1941 nach Riga, dort 1941 verschollen