Als im Oktober 2009 der ehemalige Adjutant Adolf Hitlers und SS-Mann Fritz Darges in Celle starb, löste dies einen mittleren Medienrummel aus. Darges kam 1948 nach Celle, machte Karriere und lebte gesellschaftlich anerkannt. Hier lernte er auch seine spätere Ehefrau kennen: die Kinderärztin Helene Darges-Sonnemann (1911-1998). Auch sie war in Celle keine Unbekannte.

1943 brachte Helene Darges-Sonnemann aus dem zerbombten Hamburg etwa 300 Kinder, 70 Krankenschwestern und sechs Ärztinnen nach Celle, erhielt dafür einen Orden, blieb in Celle und machte hier Karriere am Allgemeinen Krankenhaus, bis sie 1976 als Chefärztin der Kinderklinik in Rente ging.

Neben dieser »Heldengeschichte« gibt es aber einen weiteren Teil ihrer Biographie: Helene Sonnemann war im Hamburger Kinderkrankenhaus Rothenburgsort an der Umsetzung des Euthanasieprogramms beteiligt, deutlicher gesagt hat sie Kinder ermordet, die in der nationalsozialistischen Ideologie als „nicht lebensfähig“ oder auch „nicht lebenswert“ galten. Dies hätte, so denn gewollt, auch in Celle schon früher bekannt sein können.

Nachdem jetzt Helene Darges-Sonnemann durch die Berichterstattung über ihren Mann wieder in den Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten war, entschloss sich das AKH, Leben und Taten der Kinderärztin erforschen zu lassen. Den Auftrag dazu erhielt der hannoversche Historiker Raimond Reiter, der sich seit langem u.a. mit NS-Psychiatrie beschäftigt. Zentral in der Untersuchung erscheinen folgende Punkte:

Helene Darges-Sonnemann war überzeugt von ihrem Tun.

Den Euthanasie-Ärzten hätte bewusst sein können, wenn nicht sogar müssen, dass ihr Handeln keine gesetzliche Grundlage hatte, sondern vielmehr auf einem geheimen Erlass beruhte.

Ermittlungen gegen Sonnemann 1949 führten nicht einmal zu einem Prozess, obwohl Sonnemann die Tötung von sieben Kindern zugab und weitere Tötungen durch Zeugenaussagen belegt werden konnten, weil die Beschuldigten der Ansicht gewesen seien, dass sie gesetzeskonform gehandelt hätten.

Erschreckend an der Nachkriegs-Karriere von Helene Darges-Sonnemann, ist nicht nur, dass diese überhaupt möglich war, vielmehr sind es Äußerungen von ihr, die erkennen lassen, dass sie offenbar nach wie vor Euthanasie befürwortete. Dies äußerte sie auch mehr oder weniger öffentlich, Reiter beschreibt z.B. wie sie Eltern kranker Kinder zu aktiver Sterbehilfe riet.

Die Untersuchung zeichnet den Werdegang einer NS-Täterin nach, die nicht nur nie für ihre Verbrechen belangt worden ist, sondern auch im Nachkriegsdeutschland Karriere machen und „ehrbar“ leben konnte, ohne ihre Überzeugung abgelegt zu haben oder gar zu bereuen.

Reiter, Raimond: Dr. Helene Darges-Sonnemann. Erfolgreiche Kinderärztin und Verstrickung in NS-Verbrechen. Celle 2011 (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte, Bd. 9). ISBN 978-3-925902-77-2, 48 Seiten, 15 EUR.

Aus: revista. linke zeitung für politik und kultur in celle, Nr. 532, März/April 2011, S. 21.

Jahr
Quelle
Schlagworte