Die Amerikaner bombardieren den Güterbahnhof der Stadt. Ein Zug mit KZ-Häftlingen wird getroffen. Die Menschen fliehen – und werden gnadenlos gejagt. An dem Massaker, vier Tage vor dem Einmarsch der Briten, beteiligen sich auch etliche Celler Bürger.

Die Liste der NS-Verbrechen in den letzten Wochen und Tagen des Zweiten Weltkrieges ist lang. Tausende und Abertausende Menschen – KZ-Insassen, Gestapo-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und sogenannte Wehrkraftzersetzer – wurden dabei umgebracht. Bis heute sind viele dieser Untaten, dieser Massaker an der »Heimatfront«, kaum aufgeklärt, geschweige denn im öffentlichen Gedächtnis präsent.

Im Januar 1945 befanden sich noch 700.000 KZ-Häftlinge in der Gewalt des Regimes. Bis zuletzt hielt die SS an ihrem wahnhaften Plan fest, möglichst keinen Häftling lebend entkommen zu lassen. Vor den anrückenden Alliierten wurden die Lager in großer Hektik geräumt. Unter grauenhaften Bedingungen verschleppte man die Menschen in »Auffanglager«, die sich binnen kurzer Zeit in Sterbelager verwandelten. Schätzungen zufolge fielen 240.000 bis 350.000 Häftlinge diesem Terror der letzten Stunde zum Opfer.

Auch in Nordwestdeutschland wütete das Regime im Frühling des Jahres 45 weiter. Während an Rhein und Ruhr und am Main in Frankfurt schon die Briten und Amerikaner standen und an der Oder, 70 Kilometer vor Berlin, die Rote Armee, waren hier in den ersten beiden Aprilwochen zahlreiche Transporte mit insgesamt 60.000 Häftlingen unterwegs.

Der Zug, der sich am Abend des 7. April in Salzgitter-Drütte in Bewegung setzte, sollte etwa 3400 Häftlinge aus den Außenlagern Drütte und Salzgitter-Bad (beide dem KZ Hamburg-Neuengamme zugeordnet) und Holzen (KZ Buchenwald bei Weimar) in offenen Güterwaggons nach Norden bringen. Zuvor hatten die 2950 Männer und 450 Frauen zermürbende Zwangsarbeit für die Reichswerke Hermann Göring in Salzgitter und bei einer Untertage-Verlagerung nahe Holzminden leisten müssen. Häftlinge aus der Sowjetunion stellten unter den Männern, die Polinnen unter den Frauen mit jeweils 50 Prozent die größte Nationalitätengruppe. Die Wachmannschaften setzten sich zu weiten Teilen aus »volksdeutschen« SS-Männern und aus Soldaten zusammen, welche die Wehrmacht 1944 an die SS abgegeben hatte. Verantwortlicher Transportführer war der 57-jährige SS-Sturmscharführer Emil Ehrenberg, ein ehemaliger Wehrmachtangehöriger. Am Nachmittag des 8. April traf der Zug in Celle ein. Technische Probleme machten einen längeren Aufenthalt nötig.

Auch Celles Sportheld Otto Amelung ist bei der Jagd dabei

Celle, die alte Herzogstadt in der Heide, war weder eine Hochburg der Nationalsozialisten noch ein Hort des Widerstands. Mit dem NS-Regime hatte sich das protestantisch geprägte konservative Milieu in den Jahren zuvor einvernehmlich arrangiert und wirtschaftlich in erheblichem Maße von Aufrüstung und Kriegswirtschaft profitiert. Gegen Kriegsende zählte Celle etwas über 50.000 Einwohner, darunter mehr als 10.000 Flüchtlinge und Evakuierte. Vom alliierten Luftkrieg war das malerische Residenzstädtchen weitgehend verschont geblieben.

Auch der Angriff der 9. U.S. Air Force just an jenem 8. April um 18.11 Uhr galt nicht der Stadt selbst, sondern allein dem Celler Güterbahnhof. Es war ein taktischer Schlag: Er sollte den Vormarsch der 2. Britischen Armee in westlicher Richtung unterstützen und auf der wichtigen Nord-Süd-Bahnachse die Nachschubwege nach Hannover unterbinden; die Stadt stand kurz vor der Einnahme durch amerikanische Truppen.

50 Minuten dauerte der Angriff, der in drei Wellen erfolgte, unterbrochen von Pausen, jede eine Viertelstunde lang. Die Bomben trafen die Gleisanlagen und umliegende Gebäude – und den Zug aus Drütte. Etwa 400 bis 500 Häftlinge kamen dabei ums Leben. Unter den Zivilisten aus Celle waren 122 Tote zu beklagen, mehrheitlich ältere Menschen und Kinder. Außerdem starben 38 Männer, die größtenteils zum Wachpersonal des KZ-Zuges gehörten.

Für die Häftlinge bedeutete der Angriff eine ähnlich fürchterliche Tragödie wie wenig später, am 3. Mai, die britische Bombardierung der mit mehreren Tausend Häftlingen aus Neuengamme voll gepferchten Schiffe Cap Arcona und Thielbeck in der Ostsee vor Neustadt. Die Fassungslosigkeit darüber, so kurz vor der Befreiung von ihren natürlichen Verbündeten, die nicht erkannt hatten, wen sie da trafen, attackiert zu werden, spiegelt sich in allen Erinnerungen wider.

Die Dramen, die sich am Celler Güterbahnhof abspielten, lassen sich nur noch bruchstückhaft rekonstruieren. Wer konnte, versuchte den Bomben zu entkommen. Die SS-Männer griffen zu den Waffen und schossen auf die Flüchtenden. Wenig später schon beteiligten sich die ersten Zivilisten an der Menschenjagd, besonders die (älteren) Männer des Volkssturms und die Jungen der HJ taten sich dabei hervor.

Am späten Abend hatte man den Großteil der Häftlinge an mehreren Sammelplätzen im Neustädter Holz, westlich der Bahnlinie, wieder zusammengetrieben. Wohl mehr als hundert Menschen aber waren noch auf der Flucht.

Derweil berieten Vertreter von SS, Wehrmacht, NSDAP und der Stadt Celle über das weitere Vorgehen. Das Kommando zog der Generalmajor der Wehrmacht Paul Tzschöckell an sich. Der 49-Jährige hatte 16 Jahre im Polizeidienst gestanden und war seit November 1944 der Kommandant der Heeresgasschutzschule in Celle und damit auch Standortältester.

Um Mitternacht gab er im Haus der Kreisleitung nahe dem Bahnhof seinen Einsatzplan bekannt. Sträflinge aus einem verlegten Zuchthaus, so ließ er verkünden, hätten sich bewaffnet und würden nun plündern und Gewalttaten verüben. Damit sollten Einsatzkräfte wie Bevölkerung mobilisiert werden, auf die Flüchtlinge weiter Jagd zu machen.

Tatsächlich jedoch versuchten die Entflohenen nur, sich irgendwie durchzuschlagen. Verzweifelt baten sie um Wasser und Essbares. Einige nahmen in vorübergehend verlassenen Wohnungen Lebensmittel an sich und Kleidungsstücke, um sich nicht durch ihre KZ-Kluft zu verraten. Neun verletzte Häftlinge fanden Aufnahme im St.-Josef-Stift, einem katholischen Krankenhaus. Mehrere Anwohnerinnen versuchten, erste Hilfe zu leisten. Zwei flüchtige Franzosen berichteten später, dass ihnen ein Kind eine Steckrübe geschenkt habe.

Tzschöckells Einsatzplan entsprechend, durchkämmten am frühen Morgen des 9. April eine 100 Mann starke SS-Werferabteilung aus dem nahe gelegenen Lachendorf, 80 Soldaten von der Heeresgasschutzschule und 20 Celler Polizisten das Gelände westlich der Bahnlinie in Richtung Neustädter Holz. Dabei wurden weitere Häftlinge niedergeschossen, vor allem von SS-Männern und Wehrmachtsoldaten.

Doch auch zahlreiche Gefangene, die bereits aufgegeben hatten, mussten sterben. Im Neustädter Holz sollten Celler Polizisten auf Befehl von Generalmajor Tzschöckell 30 bis 40 Häftlinge erschießen, angeblich Plünderer. Die Menschen wurden gezwungen, sich in einer Mulde auf den Boden legen. Die Polizisten eröffneten das Feuer und rannten dann schießend denjenigen hinterher, die noch versuchten zu entkommen. Wieder waren Celler Bürger bei der Jagd dabei, Anwohner, wie der 32-jährige Otto Amelung, Celles erfolgreichster Boxer der Vorkriegszeit.

Natürlich hatten auch alle Wehrmachtsoldaten den ausdrücklichen Befehl von Tzschöckell, jeden Gefangenen zu erschießen, den sie in die Hände bekamen. Beim Abzug der Einheit zeigte sich der direkte Vorgesetzte – wie einer der Soldaten, Eberhard Streland, später aussagte – sehr verärgert darüber, dass »nur fünf Häftlinge umgelegt worden waren«. Darüber hinaus liegen konkrete Hinweise auf Häftlingstötungen durch weitere Soldaten und Volkssturmmänner vor. Insgesamt fielen mindestens 170 Menschen den Hetzjagden und Massakern zum Opfer. Nur etwa 40 Häftlingen gelang es zu entkommen.

Gegen Mittag des 9. April nahm das Morden ein Ende. Offensichtlich verhinderte Transportführer Ehrenberg weitere Erschießungen, indem er darauf bestand, seine menschliche Fracht im KZ Bergen-Belsen abliefern zu müssen. Wenig später wurden 2000 bis 2500 Häftlinge in Gewaltmärschen dorthin getrieben. Wer das Tempo nicht mithalten konnte, den erschoss die SS.

In Bergen-Belsen gehörten die Häftlinge aus dem Drütte-Zug zu den letzten, die in das bereits vollkommen überfüllte und von einer Flecktyphusepidemie heimgesuchte Lager getrieben wurden. Als britische Truppen das KZ am 15. April erreichten, fanden sie etwa 10.000 unbestattete Leichen und rund 55.000 größtenteils halb verhungerte, dem Tode nahe Menschen vor. Trotz aller Hilfsbemühungen der Briten starben noch einmal mehr als 13.000 Häftlinge in den ersten drei Monaten nach der Befreiung.

Die deutsche Nachkriegsjustiz tut sich schwer, die Zeugen schweigen

Etwa 300 kranke und verletzte Häftlinge hatte Ehrenberg in Celle zurückgelassen. Auf Anweisung von Generalmajor Tzschöckell wurden sie in einen verdreckten, mit Stroh ausgelegten Pferdestall gepfercht und blieben bis zum Einmarsch der 15. Scottish Division am Morgen des 12. April ihrem Schicksal überlassen.

Ein Dreivierteljahr später, im Januar 1946, begannen die Briten zu ermitteln. Sehr bald konzentrierten sie sich auf mutmaßliche Direkttäter aus Celle. Allerdings erwies sich das zweiköpfige Ermittlungsteam der Royal Air Force als hoffnungslos überfordert, was sich schon daran zeigt, dass die Rolle von Tzschöckell, der in britischer Kriegsgefangenschaft saß, unerkannt blieb. Auch die Koordination auf übergeordneter Ebene ließ zu wünschen übrig. Die nationale Zusammensetzung der Häftlinge in dem KZ-Zug konnte nicht geklärt werden. Die Militärgerichte aber durften nur Kriegsverbrechen gegen Angehörige alliierter Nationen ahnden. So kam es erst im Dezember 1947 – 18 Monate nach Abschluss der Ermittlungen – zu einem Verfahren vor einem Gericht der Kontrollkommission, dem »Celle Massacre Trial«.

Fünf der vierzehn Angeklagten waren Celler Polizisten; ein weiterer Beamter hatte sich nach seinem Geständnis das Leben genommen. Bei den den anderen handelte es sich um Zivilisten, die während der blutigen Ereignisse keinem Befehl unterstanden hatten.

Die Hälfte der angeklagten Celler Bürger, darunter ein Justizangestellter, ein Heizungsbaumeister und ein Kaufmann, leugneten jede Tatbeteiligung. Zeugen, die beobachtet hatten, wie sie Häftlinge gejagt und misshandelt, selber geschossen oder andere dazu aufgestachelt hatten, wurden als Verleumder hingestellt, ihre Aussagen als bloßes Nachbarschaftsgezänk abgetan. Die Verteidigungsstrategie glückte: Das Gericht sah die Tatvorwürfe in sechs Fällen als so weit in Zweifel gezogen, dass es die Angeklagten aufgrund unzureichender Beweise freisprach.

In den anderen Fällen lagen Geständnisse vor, auch wenn diese zum Teil später widerrufen wurden. Der damals 31-jährige Polizist Helmut Ahlborn hatte unter anderem erklärt, einen bereits schwer verletzten Häftling durch Kopfschuss getötet zu haben. Vor Gericht gab der Beamte an, in der Untersuchungshaft habe er einen Mitangeklagten mit einem blauen Auge herumlaufen gesehen, da habe er gewusst, was das für ihn hätte bedeuten können. Mit anderen Worten: Nur aus Angst vor befürchteten Folterungen habe er sich schriftlich zu nicht begangenen Morden bekannt und damit die Todesstrafe riskiert.

Der Boxer Otto Amelung erklärte, Ahlborn, dessen Magazin leer geschossen war, habe ihn dazu veranlasst, vier am Boden liegende Häftlinge mit der Pistole eines weiteren Polizisten zu erschießen. Vor Gericht musste er einräumen, dass Ahlborn keinerlei Befehlsgewalt über ihn hatte. Der gestandene Boxer machte nunmehr – wenig überzeugend – geltend, von Ahlborn lebensgefährlich bedroht worden zu sein.

Am 14. Mai 1948 endete der Prozess mit drei Todesurteilen (für Ahlborn, Amelung und einen jungen Soldaten), vier Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen und sieben Freisprüchen. Die Todesurteile wurden bald aufgehoben oder auf dem Gnadenweg in Haftstrafen umgewandelt. Das volle Strafmaß hatte keiner der Verurteilten zu verbüßen. Als Letzte kamen Ahlborn und Amelung bereits Anfang Oktober 1952 wieder auf freien Fuß.

Von 1950 an lagen die NS-Verfahren vornehmlich in deutscher Hand. Doch obwohl das Celle Massacre Trial gezeigt hatte, dass sich die Morde zum Teil in aller Öffentlichkeit und in Anwesenheit zahlreicher Schaulustiger abgespielt hatten, kamen weitere Ermittlungen nicht voran. Es fehlte an Anklägern, die Zeugen schwiegen. Das letzte Verfahren wurde im Sommer 2007 eingestellt.

Fragt man, wie das unglaubliche Verbrechen überhaupt geschehen konnte, so fällt die Antwort schwer. Die ideologische Bindungskraft des Regimes war auch wenige Tage vor Kriegsende offensichtlich ungebrochen, doch spielten bei den Taten selbst noch andere Aspekte mit hinein.

Es war vor allem Tzschöckells Einsatzplan, der dem Morden die Legitimation gab. Seine Lüge von den gemeingefährlichen und gewalttätigen Sträflingen, die Celle bedrohten, knüpfte an die langjährigen Ausgrenzungs- und Verfolgungslegitimierungen des NS-Regimes an – ob gegen »Juden« oder »Asoziale« – und erklärte die Häftlinge noch einmal ausdrücklich zu bedrohlichen Feinden der Celler »Volksgemeinschaft«. Es gibt Indizien, dass der Generalmajor selbst überzeugter Nationalsozialist war.

Sein Befehl stellte außerdem sicher, dass die Täter nichts zu befürchten hatten. Verlangt war allerdings nicht bloßer Gehorsam, sondern Eigeninitiative, denn die Morde fanden zumeist in unkontrollierten Situationen und ohne konkrete Einzelbefehle statt. Offensichtlich spielte bei der gnadenlosen Jagd auf die Entflohenen und den Exekutionen die Befürchtung eine große Rolle, sich als Versager und Feigling zu blamieren.

Rasch und achtlos hatte man die Leichen der Opfer beseitigt. Im »KZ-Quartier« auf dem Celler Waldfriedhof liegen insgesamt 199 Tote aus dem Drütte-Zug. 106 Ermordete waren noch vor dem Einmarsch der Briten hastig dort begraben, weitere 57 zunächst im Neustädter Holz verscharrt worden. Wo die Leichen derjenigen Häftlinge ruhen, die bei dem Bombenangriff umgekommen sind, ist bis heute ungeklärt. Ende 1948 kennzeichnete man das »KZ-Quartier« mit drei Holzkreuzen und wies es als »Ruhestätte für Opfer des Zweiten Weltkrieges« aus.

Das späterhin verdruckst-zynisch als »Celler Hasenjagd« bezeichnete Massaker blieb 40 Jahre lang ein Tabu. Schnell wurde das Verbrechen von der Geschichte einer wagemutigen Rettung überformt. Insbesondere Tzschöckell und der langjährige Oberbürgermeister Ernst Meyer, damals oberster Dienstherr der beteiligten Polizisten, machten geltend, die bedingungslose Verteidigung Celles durch den fanatischen NSDAP-Kreisleiter verhindert zu haben. Tzschöckell als der Retter Celles!

Vorgetragen wurde diese amtliche Lesart und Legende zuletzt noch vor vier Jahren, 2005, am 60. Jahrestag des Kriegsendes. Dabei war es Tzschöckell höchstpersönlich gewesen, der den Kreisleiter 1948 in dessen Spruchgerichtsverfahren auf ganzer Linie entlastet und damit die Rettungsgeschichte als Legende entlarvt hatte. 1950 dann lancierte er einen »dokumentarischen Bericht« in der Presse. Die Massaker kamen darin nicht vor. Die Hetzjagden stellte er als »Feuergefechte« zwischen seinen Männern und bewaffneten Häftlingen dar.

Das Massaker zeigt, was die NS-Gewaltherrschaft wirklich bedeutete

Anfang der achtziger Jahre nahmen sich lokale Bürgerinitiativen der Tragödie öffentlich an. Seitdem ist der Gedenkstein auf dem Waldfriedhof den »Opfern der NS-Gewaltherrschaft« gewidmet. Seit 1992 erinnert ein unscheinbares Mahnmal in den Triftanlagen an die Menschenjagd und ihre Opfer, ohne die maßgeblich Verantwortlichen zu nennen und ohne die Beteiligung von Zivilisten zu erwähnen. Ende 2006 unterstützte die Stadt Celle ein grundlegendes Forschungsprojekt der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, auf dessen Ergebnissen der vorliegende Beitrag basiert.

Celle ist kein Einzelfall, weder die blutigen Ereignisse am 8./9. April 1945 noch deren Leugnung und Verdrängung in den Jahrzehnten danach sind beispiellos. Erinnert sei nur an die Massenmorde von Gardelegen oder die »Mühlviertler Hasenjagd« auf entkommene Häftlinge des KZ Mauthausen.

Zweifelsohne lassen sich diese Massaker an der »Heimatfront« nicht mit den Erschießungen in Babij Jar oder den Morden in den Gaskammern gleichsetzen. Doch auch sie zeigen, gerade da sie in aller Öffentlichkeit geschahen, was die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus wirklich bedeutete: nicht nur die brutale Herrschaft eines Regimes, sondern die Brutalisierung der »Volksgemeinschaft« selbst. Zu wenige haben dem aktiv widerstanden – das »Kind mit der Steckrübe« blieb die Ausnahme, bis zum Schluss.

Der Autor ist Historiker und lebt in Hannover. Mehr zum Thema in seinem Buch »Celle April 1945 revisited. Ein amerikanischer Bombenangriff, deutsche Massaker an KZ-Häftlingen und ein britisches Gerichtsverfahren«, das vor kurzem im Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, erschienen ist (173 S., Abb., 19,– €)

Aus: DIE ZEIT (Nr. 18) vom 23.04.2009 Nr. 18